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Sport: Die kalten Geschwister

Ski alpin und Ski nordisch haben einen Ursprung – aber das Interesse aneinander ist nicht besonders groß

Wenn der kleine Christian in Garmisch-Partenkirchen und die junge Rosi in Reit im Winkl sich auf Jahre zum Außenseiter hätten machen wollen, wäre das ganz einfach gewesen: Sie hätten nur nach der Schule mit Langlaufski erscheinen und eine Runde in der Loipe vorschlagen müssen. „Das wäre allerdings ziemlich uncool gewesen", sagt Christian Neureuther. Das Gleiche hätte der junge Jochen Behle aus Willingen im Sauerland erlebt, wenn er unter Freunden verkündet hätte, er wolle der neue Toni Sailer werden: Oh Gott, hätten seine Kumpel gesagt, was ist das für ein Spinner? Rosi Mittermaier und Christian Neureuther wurden das Traumpaar des alpinen Skisports, Behle die Ikone des deutschen Langlaufs.

Zwischen den gerade beendeten alpinen Weltmeisterschaften in St. Moritz und den am Dienstag beginnenden nordischen Titelkämpfen in Val di Fiemme liegen äußerlich nur zwei Tage und einige Alpentäler, eigentlich aber Welten. Natürlich gibt es jeweils eine alpine (Abfahrt und Slalom) und eine nordische Kombination (Springen und Laufen). Aber ein alpino-nordischer Duathlon, vielleicht ein Super-G mit zehn Kilometer Langlauf danach: undenkbar.

Beide Sportarten werden vom selben Verband organisiert und haben die gleichen Ursprünge in der Provinz Telemark im südlichen Norwegen, wo vor 130 Jahren junge Männer aus einem Fortbewegungsmittel ein Sportgerät entwickelten. Die Wege der Athleten trennten sich bald, und sie wurden wie manche erwachsenen Geschwister: nicht direkt verfeindet – aber eigentlich hat man sich nichts zu sagen und trifft sich höchstens mal im Haus der Eltern. In diesem Fall im „Haus des Ski" in Planegg bei München, dem Sitz des Deutschen Ski-Verbands, wo die Angehörigen beider Abteilungen sich familiär-vertraut, aber durchaus eifersüchtig beäugen. Zumal jetzt, wo die nordische Sektion der alpinen so eindeutig den Rang abläuft, was Erfolge und das Interesse des Fernsehpublikums angeht.

Wie groß die Kluft immer noch ist, hört man leicht heraus, wenn ein so weltläufiger Alpiner wie Neureuther ins Philosphieren kommt: Sein Metier sei geprägt vom „alpinen Denken, dem Gefühl für die Berge“, eine sehr komplexe Sache aus Talent und sorgfältiger Schulung. „Der nordische Sport ist dagegen planbar, deshalb war ja auch der Ostblock so erfolgreich." Ihren Sohn Felix, der gerade bei der WM debütierte, stellten Christian und Rosi mit zwei Jahren auf die Bretter.

Überhaupt fällt die Entscheidung, auf Skiern mit der Schwerkraft zu spielen oder sich aus eigener Kraft durch die Berge zu mühen, in der Regel schon mit der Geburt. Nur sind aus den sportlichen Gräben kulturelle geworden. Das ist noch heute in jedem Wintersportort zu beobachten, wenn alpine und Langläufer abends im Lokal mitleidig oder verächtlich ihre jeweiligen Outfits begutachten. Kein Wunder bei den Vorbildern: In der Abfahrt waren das mondäne Typen wie Karl Schranz oder Draufgänger wie Hermann Maier; fast durchweg Alpenbewohner und ein paar verrückte US-Amerikaner und Kanadier. Den Langlauf machten wortkarge und asketische Skandinavier und Russen unter sich aus, dahinter deutsche Mittelgebirgler aus Schwarzwald oder bayrischem Wald. Ihr Idol war zum Beispiel der finnische Naturbursche Juha Mieto, ein zäher Riese mit Eiszapfen im Vollbart. Abfahrt und Langlauf, das verhielt sich wie ein Longdrink in der Disco zu einem Tee in der Kuschelstube.

In den vergangenen Jahren ist die gewohnte Ordnung ziemlich aus den Fugen geraten, als eine Menge Norweger im alpinen Sport den Alpenbewohnern davon fuhren und als umgekehrt Österreich und Deutschland plötzlich konkurrenzfähige Langlaufstaffeln hatten. „Der Langlauf ist sportiver geworden", muss sogar Christian Neureuther zugeben. Der Fitness-Trend und die neue Skating-Technik brachten diese Sportart modisch nach vorn. Und seit Evi Sachenbacher den Langlauf sogar in Reit im Winkl populär gemacht hat, haben die Alpenorte ein Marketing-Problem: Wie kann man die neue Klientel gewinnen, ohne die Alpinen – immer noch gut 80 Prozent – zu verprellen? Die Lösung ist einfach: Man macht beides. In letzter Zeit sieht man übrigens auch Christian Neureuther auf Skating-Ski laufen. Das ist nämlich ziemlich cool geworden.

Raim, Witkop

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