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Sport: "Die Liga leidet durch die Champions League"

Gerhard Mayer-Vorfelder (68) ist seit April 2001 Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. Zuvor war er neun Jahre DFB-Vizepräsident.

Gerhard Mayer-Vorfelder (68) ist seit April 2001 Präsident des Deutschen Fußball-Bundes. Zuvor war er neun Jahre DFB-Vizepräsident. Der frühere Kultus- und Finanzminister in Baden-Württemberg war 25 Jahre lang Präsident des VfB Stuttgart und von 1986 bis 2000 Vorsitzender des DFB-Ligaausschusses. Mayer-Vorfelder sitzt im Exekutivkomitee des Weltfußballverbandes Fifa und ist Mitglied des Nationalen Olympischen Komitees. In jungen Jahren kickte er als Mittelläufer beim SV Waldshut. Heute ist er noch bei Benefizspielen am Ball.

Herr Mayer-Vorfelder, mit 68 Jahren haben Sie sich in diesem Jahr an die Spitze des größten Einzelsportverbandes der Welt wählen lassen. Können Sie von der Macht nicht lassen?

Das mit dem Loslassen ist so eine Frage. In der Politik habe ich nach 20-jähriger Minister-Tätigkeit von mir aus losgelassen, beim VfB Stuttgart habe ich 25 Jahre die Verantwortung getragen, und vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich dort zwei, drei Jahre früher Schluss gemacht hätte. Dem Fußball aber habe ich mich immer verpflichtet gefühlt, und umso mehr habe ich das Amt des DFB-Präsidenten als krönenden Abschluss meines Berufslebens gerne angenommen. Allerdings halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass ich in ein tiefes Loch gefallen wäre, hätte ich einfach ganz aufgehört. Aber: Ich bin gesund, und im Grunde spielt das Alter keine Rolle. Entscheidend ist vielmehr, wie groß die Spannkraft noch ist.

Mit Verlaub, insbesondere in den Interviews unmittelbar nach dem zweiten Relegationsspiel der deutschen Nationalmannschaft gegen die Ukraine schien von Ihrer Spannkraft nicht viel übrig geblieben zu sein. Trotz des Erfolges wirkten Sie fahrig, angeschlagen.

Das mag eine subjektive Beobachtung Einzelner gewesen sein. Ich habe mich jedenfalls nicht angeschlagen gefühlt. Viel mehr als die Relegation gegen die Ukraine ist mir das 1:5 gegen England an die Nieren gegangen. Damals allerdings waren auch die Termine um das Spiel herum so zahlreich, dass ich drei Tage lang überhaupt nicht zur Ruhe kommen und zu mir selbst finden konnte.

Wie gelassen wären Sie geblieben, wenn die Nationalmannschaft die Teilnahme an der WM 2002 verpasst hätte?

Ich habe mich schon geärgert, dass die Qualifikation nicht auf normalem Wege geschafft worden ist. Aber ich war immer überzeugt, dass wir es schaffen würden. Für die Mannschaft war das sogar die Chance zu lernen, mit Kritik umzugehen, die mir allerdings überzogen schien.

Wenn man einer Rangliste der Zeitschrift "Sport-Bild" trauen darf, spielen Sie im deutschen Fußball eine untergeordnete Rolle. Dort werden Sie nur auf Platz 24 geführt. Weit vor Ihnen liegt Bayern Münchens Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, einen Platz besser als Sie ist Liga-Boss Werner Hackmann positioniert.

Solche Listen sind doch subjektiv. Da will man den "Abstieg" des DFB-Präsidenten mit der neuen Selbstständigkeit der Liga belegen. Bitte, soll man das tun. Ich weiß, was ich und meine Aufgaben innerhalb des DFB wert sind.

In letzter Zeit mussten Sie sich öffentlich gängeln lassen. Karl-Heinz Rummenigge prangerte Ihre Informationspolitik im Fall der Vertragsverlängerung von DFB-Teamchef Rudi Völler an. Uli Hoeneß gestand Ihnen als DFB-Präsidenten nicht zu, die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich im deutschen Profifußball zu beklagen.

Gegenüber Uli Hoeneß bleibe ich bei dem, was ich gesagt habe. Die Wettbewerbsfähigkeit einer Liga leidet nun mal durch die Champions League. Auch wenn eine Mannschaft aus dem unteren Drittel der Bundesliga mal gegen ein Spitzenteam gewinnt, ist eine wirkliche Konkurrenzfähigkeit nicht mehr gegeben. Das ist ein sportpolitisches Problem, und dem DFB-Präsidenten steht es zu, dies auch anzusprechen. Rummenigges Vorwurf ist vollkommen ungerechtfertigt. Nach der verkorksten Europameisterschaft 2000 habe ich großen Wert darauf gelegt, dass Bundesliga und Nationalmannschaft wieder zusammenrücken. Deshalb kam es zur Task Force und später zum Ausschuss Nationalmannschaft. Dass Rummenigge nicht informiert gewesen sein will, halte ich für abenteuerlich. Schließlich saß auch Herr Beckenbauer mit am Verhandlungstisch, als es um Rudi Völlers Vertragsverlängerung ging. Im Übrigen betrachte ich es als ungeheuer positiv, dass es mir gelungen ist, Völler bis 2006 zu verpflichten.

Völlers Ja-Wort haben wir also in erster Linie Ihnen zu verdanken?

Ich habe natürlich nicht gesagt "Rudi, bitte verlängere wegen mir!" Aber ich habe ein so vertrauensvolles Verhältnis zu Völler, dass er sich bei mir gut aufgehoben weiß. Und dass er überhaupt dabei ist, war nicht zuletzt meine Idee. Nur mache ich im Gegensatz zu anderen daraus nicht ständig ein Ballyhoo.

Wenn Ihr Verhältnis zu Völler so vertrauensvoll ist, warum haben Sie dann dem Wunsch des Teamchefs nach einem Nationalmannschafts-Manager nicht entsprochen, sondern diese Diskussion für beendet erklärt?

Sicherlich weiß Rudi Völler es zu schätzen, wenn beispielsweise Karl-Heinz Rummenigge bei Länderspielen dabei ist. Für die Beschäftigung eines hauptamtlichen Managers aber gibt es keinen einleuchtenden Grund, schließlich ist die Struktur eines Verbandes etwas völlig anderes als die eines Vereins. Diesbezüglich brauche ich auch keine Belehrungen von Herrn Rummenigge.

Kann es nicht sein, dass Sie mit solch einsamen Entscheidungen sich und der DFL, der Deutschen Fußball-Liga, beweisen wollen, dass der DFB-Präsident doch mehr als ein König ohne Reich ist?

Nein, das hat damit gar nichts zu tun. Ich entscheide solche Dinge ja nicht aus dem hohlen Bauch heraus, sondern lasse mich von der Vernunft leiten. Es ist aber wichtig, dass in unserer Mediengesellschaft, in der aus einem kleinen Schneeball schnell eine Lawine werden kann, bestimmten Entwicklungen Einhalt geboten wird. Dieses Recht nehme ich mir heraus, umso mehr, wenn ich sicher bin, dass alle Argumente auf meiner Seite sind.

Aber glauben Sie denn, dass die unterschiedlichen kommerziellen Interessen von DFL und DFB überhaupt noch miteinander in Einklang zu bringen sind?

Damit sprechen Sie das Grundproblem in der Auseinandersetzung zwischen Uli Hoeneß und mir an. Ich bin der Meinung, dass der bezahlte Fußball trotz aller kommerziellen Auswüchse nicht aus seiner Gesamtverantwortung entlassen werden kann. Ich halte diese ganze Entwicklung für ausgesprochen gefährlich, denn die Finanzquellen, nach denen die Vereine immer wieder bohren, sind endlich. Und es ist kein ehernes Gesetz, dass die TV-Beträge immer weiter steigen werden. Eher wird sich die Entwicklung umkehren. Es ist meine Pflicht, immer wieder darauf hinzuweisen.

Hinweisen können Sie, wirklichen Einfluss nehmen nicht. So droht Uli Hoeneß, dass die Vereine bald keine Spieler für die Nationalelf mehr abstellen könnten, sollte sich der DFB weiterhin in die Belange der besten Klubs Europas, der so genannten G 14, einmischen.

Zunächst gilt einmal, dass die Vereine verpflichtet sind, Spieler abzustellen. Und ich glaube nicht, dass Uli Hoeneß vergessen hat, dass die Nationalmannschaft - wenn es um den Fußball geht - noch immer der Deutschen liebstes Kind ist. Auch der bezahlte Fußball muss begreifen, dass die Repräsentation des deutschen Fußballs über diese Elf geschieht. Eine ganz andere Frage wird sich aber im Zusammenhang mit der G 14 stellen. Die nämlich, ob die DFL diese großen Vereine überhaupt noch vertreten kann.

Deren Präsident Werner Hackmann denkt zumindest laut darüber nach, die Bundesliga an einen Hauptsponsor zu verkaufen.

Da bin ich konservativ. Die Bundesliga ist ein Markenzeichen, das man nicht opfern sollte. Wenn man heute als McDonalds-,morgen als Coca-Cola- und im dritten Jahr als AOL-Liga auftritt, würde das zwar sicherlich einen großen Betrag einbringen. Aber ich versichere Ihnen: Diese Summe wäre noch nicht ganz eingespielt, da hätte man sie schon wieder ausgegeben. Das Geld liegt eine Sekunde auf dem Tisch und ist schon wieder in den Taschen der Spieler verschwunden.

Braucht die Liga, ähnlich dem so genannten Salary Cap im US-Profisport, eine für alle verbindliche Gehaltsobergrenze?

Ich habe bei der Uefa den Gedanken an einen Salary Cap bereits angestoßen. Grundlage dafür aber ist ein Lizenzierungssystem, das die Zahlen vergleichbar macht. Dieses wird nun bis 2004 in allen Mitgliedsländern der Uefa eingeführt. So kann man ermitteln, wie der Cash Flow ist und daraufhin einen solchen Salary Cap festlegen. Dann hätte jeder Verein einen Gesamtbetrag, den er für Gehälter ausgeben darf. Sollten zwei, drei Topspieler sehr hohe Bezüge erhalten, muss der Rest des Gesamtbetrages eben für die anderen Spieler reichen. Der europäische Salary Cap wird eines Tages kommen, allein schon weil die Ressourcen endlich sind.

Macht Ihnen der Fußball zu Beginn des 21. Jahrhunderts eigentlich noch Spaß?

Man neigt dazu, die Vergangenheit zu verklären, aber alles Jammern nützt nichts. Natürlich war es früher einfacher und auch schöner. Damals habe ich mit den Spielern selbst verhandelt und sie dabei auch sehr gut kennen lernen können. Heute ist alles anonym, der Spieler ist gar nicht mehr anwesend. Stattdessen erscheint eine Armada von Beratern: Anwälte, Steuerfachleute und Dolmetscher.

Mit Hinblick auf die Weltmeisterschaft im eigenen Land ist Ihr Traum die Bildung eines Teams 2006. Wie gefällt Ihnen, dass die DFL Ihr Ansinnen konterkariert, indem sie die Zahl der spielberechtigten Nicht-EU-Ausländer pro Verein von drei auf fünf erhöht hat?

Das war mit Sicherheit kontraproduktiv. Wir machen eine sehr gute Talentförderung, aber an der Schnittstelle zwischen Junioren- und Seniorenbereich geht dann plötzlich die Spielpraxis verloren. Wir als DFB müssen nun schauen, wie wir diesen Konflikt entschärfen können, vielleicht kann die Regionalliga da ja etwas leisten. Darüber wollen wir im Januar mit der Liga sprechen. Was mich aber noch mehr berührt hat, war die handstreichartige Durchführung des Beschlusses, ohne dass man vorher diese Fragen gemeinsam ausgelotet hätte. Ich glaube aber, die Liga weiß mittlerweile, dass sie zu schnell gehandelt hat.

Sie suchen den Konsens mit und in der Liga. Belegt aber das Gezerre um den Jungnationalspieler Sebastian Kehl nicht, dass Vereine und Spieler nur noch an sich denken?

Sie haben Recht. Ein junger Spieler zeigt großes Talent, Bayern München und Borussia Dortmund bemühen sich um ihn, wissen aber beim Blick auf den eigenen Kader schon, dass der Spieler zunächst gar nicht zum Zuge kommen kann. Deshalb ist es notwendig, statuarisch festzulegen, dass der jeweilige Verein dem Spieler, den er unter Vertrag genommen hat, in jedem Fall Spielpraxis ermöglicht - vielleicht sogar bei seinem alten Klub. Sollte man den Spieler wieder brauchen, etwa bei großer Personalnot, dann muss es möglich sein, dass er ohne viel Bürokratie zu seinem eigentlichen Arbeitgeber zurückkehrt.

Herr Mayer-Vorfelder[mit 68 Jahren haben Sie sich]

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