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Sport: Die Schlange von Wimbledon

Benedikt Voigt über die Meisterschaft im Anstehen Es ist noch nicht so bekannt, aber neben den All England Lawn Tennis Championships findet in Wimbledon gegenwärtig eine weitere Meisterschaft statt. Und im Gegensatz zum Tennis sind die Briten im Anstehen (engl.

Benedikt Voigt über

die Meisterschaft im Anstehen

Es ist noch nicht so bekannt, aber neben den All England Lawn Tennis Championships findet in Wimbledon gegenwärtig eine weitere Meisterschaft statt. Und im Gegensatz zum Tennis sind die Briten im Anstehen (engl. Queuing), so heißt diese Sportart, nicht zu schlagen. Womöglich, weil sie es schon in jungen Jahren an Busstationen oder Fahrkartenschaltern trainieren. Anfängern sei empfohlen, sich auf der Tennisanlage von Wimbledon mit Einheimischen im Queuing um eine Schale Erdbeeren zu messen. Nach zirka einer halben Stunde wird die Geduld mit etwas Süßem belohnt, und der Athlet ist aufgewärmt für die wirkliche Meisterschaft. Die findet täglich vor den Toren der Anlage im Südwesten Londons statt und die Regeln lauten wie folgt:

Ziel des Wettbewerbes ist es, eine von 500 Restkarten zu erwerben, die täglich ab 9.30 Uhr am Eingang Nummer drei in den Verkauf gehen. Diese Karten gelten für den Centre Court oder den Court Nummer eins, also jene Tennisplätze, auf denen für gewöhnlich die wichtigsten Spiele stattfinden. Es gibt auch täglich 6000 Karten für den Rest der Anlage, aber wer für diese Karten einige Stunden ansteht, kämpft nur in der Zweiten Liga.

Zu den Topathleten hingegen gehört Beth aus Sydney – wir vergaßen zu erwähnen, dass auch die CommonwealthNationen beim Queuing ganz vorne mit dabei sind. Beth ist 25 Jahre alt und wollte Karten für Court Nummer eins erwerben, weil dort am Montag ihr Lokalheld Mark Philippoussis spielte. Deshalb stellte sie sich bereits um acht Uhr in die Schlange. Wobei das nicht acht Uhr früh am Montag bedeutet, es sind ja nicht die Stadtmeisterschaften von Edinburgh. Auch nicht acht Uhr abends am Vortag. Nein, Beth erschien mit zwei Freunden und einem Zelt am Sonntagmorgen um acht Uhr früh vor den Toren Wimbledons. Fünfundzwanzigeinhalb Stunden vor Öffnung der Kassen! Das war eine starke Leistung von Beth, doch damit landete sie lediglich auf dem 68. Rang. 67 kamen noch früher. Wie gesagt, in Wimbledon wird die Meisterschaft im Anstehen ausgetragen.

Nun galt es für Beth nur noch, die nächsten fünfundzwanzigeinhalb Stunden in oder bei ihrem Zelt auf dem Bürgersteig auszuharren. Dabei empfiehlt es sich, als Gruppe anzustehen. „Es bleibt immer einer beim Zelt, die anderen können inzwischen machen, was sie wollen“, sagt die Australierin. In letzter Zeit sehen sich fortgeschrittene Ansteher einigen Schikanen der Polizei ausgesetzt. Zum Beispiel dürfen sie wegen der Geruchsbelästigung nicht mehr auf dem Bürgersteig grillen.

Beth musste nur noch eine regnerische und stürmische Nacht überstehen. Um sechs Uhr wurde sie dann von einem offiziellen Schiedsrichter geweckt und durfte ihr Zelt in eines der extra dafür eingerichteten Schließfächer verstauen. Nun musste sie nur noch die restlichen dreieinhalb Stunden im Regen stehen, dann bekam sie am Kassenhäuschen ihr Ticket für Mark Philippoussis ausgehändigt. So wartet ein Champion. Wem dies ein bisschen zu lange dauert, kann sich ja nochmal bei den Erdbeeren anstellen.

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