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Kein verschwendetes Talent. Angel di María.

© AFP

WM 2014 - Angel di María: Die schnelle Nudel

Angel di María, Argentiniens verletzter Dauerläufer, wurde im Halbfinale gegen die Niederlande vermisst. Kann er am Sonntag im Finale gegen Deutschland spielen?

Kurz vor der Abreise nach Rio hat er noch mal seine Runden gedreht in der Cidade do Galo, dem Trainingszentrum von Atletico Mineiro, es war in den vergangenen Wochen so etwas wie die inoffizielle diplomatische Vertretung der Republik Argentinien in Brasilien. Angel di María zog ein paar Sprints an und trat nach dem Ball, alles unter strenger Aufsicht des medizinischen Stabes. Er sprach davor, dabei und danach kein einziges Mal, was so ungewöhnlich nicht ist, denn Angel di María ist kein Meister der öffentlichen Selbstdarstellung.

Also machte sich das Bataillon der argentinischen Reporter in Belo Horizonte an seine Lieblingsbeschäftigung, ans Deuten und Interpretieren und Wahrsagen. Wird der Mittelfeldmann von Real wohl spielen können am Sonntag, im WM-Finale gegen Deutschland? „Angel will unbedingt spielen“, sagt sein Agent. Trotz der im Viertelfinale gegen Belgien erlittenen Muskelverletzung im rechten Oberschenkel, sie hatte sein Mitwirken im Halbfinale gegen die Niederlande verhindert. Doch ob di María wirklich auflaufen kann, wird sich erst sehr kurzfristig entscheiden. „Noch kann ich dazu nichts sagen“, sagte Argentiniens Trainer Alejandro Sabella am Samstagabend. „Das Abschlusstraining heute ist sehr wichtig für ihn. Wir müssen abwarten, wie er auf die Belastung reagiert.“

Angel di María ist neben Lionel Messi und Javier Mascherano die aufregendste Gestalt in der bisher nicht sehr aufregenden argentinischen Mannschaft. Alle drei kommen sie aus Rosario und sind für den Goldenen Ball des besten Spielers dieser WM nominiert. Messi und Mascherano gehören schon seit Jahren zur Weltelite, di María ist noch ein Frischling. Er gehörte zwar schon 2010 bei der WM in Südafrika zum Stammpersonal. Doch damals, unter dem Trainer-Autodidakten Diego Maradona, war Taktik eine zu vernachlässigende Größe und di María mit dem Leichtgewicht seiner 22 Jahre als Linksaußen vom Spiel weitgehend abgekoppelt.

Vier Jahre später spielt er immer noch auf dem linken Flügel, aber sein Spiel ist variabler geworden, gekennzeichnet von hoher Laufbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein für das defensive Element. Keiner im himmelblauweißen Trikot läuft so schnell und viel wie der dünne und lange di María, in Argentinien nennen sie ihn El Fido, die Nudel. Und Tore schießen kann er auch. Vielleicht hätte es Argentinien gar nicht bis ins Maracana geschafft ohne di Marías 1:0 im Achtelfinale gegen die Schweiz, zwei Minuten vor dem Ende der Verlängerung. In der Retrospektive ist dieses Tor allein Messi zugerechnet worden, seinem großartigen Dribbling, dem Blick für den freien Raum und den perfekten Diagonalpass auf den mitgelaufenen Kollegen. Aber auch di María hatte intuitiv das Momentum erkannt und sich vom linken auf den rechten Flügel geschlichen, im Rücken der Schweizer Abwehr, die nach 118 anstrengenden Minuten diesen Winkelzug nicht mehr nachvollziehen konnte. Ballannahme und Vollendung geschahen auf höchstem Niveau, und Trainer Sabella urteilte ganz richtig: „Zwei großartige Spieler haben zusammengearbeitet und uns dieses Tor ermöglicht.“

In der öffentlichen Wahrnehmung wird die Großartigkeit des argentinischen Spiels gern auf Messis Eingebungen und Dribblings und Tore reduziert. Aber allein kann niemand eine WM gewinnen, und allein ist Argentinien auch nicht bis ins Finale gekommen. Das Gefährliche an Sabellas Taktik ist ja, dass so vieles auf Messi fixiert wird und der ansonsten vorhandene Reichtum an Talent schon mal vernachlässigt wird. Dass Messi selbst daran seinen Anteil hat und seinen Einfluss entsprechend einsetzt, darüber ist in diesen Tagen von Brasilien viel debattiert und spekuliert worden. Auch beim FC Barcelona hat sich in der jüngeren Vergangenheit einiges in diese Richtung entwickelt.

Sabella weiß um den Interessensgegensatz, seinen Weltstar bei Laune zu halten und gleichzeitig den Teamgedanken hochzuhalten. Er hat darauf keine Lust mehr und wird wohl nach der WM aufhören, wie es sein Berater in einem unbedachten Augenblick ausgeplaudert hat. Aber das Messi-Problem hat er im Lauf des Turniers immer besser in den Griff bekommen. In der Vorrunde spielte Argentinien noch so, wie es 2010 der Bundestrainer Joachim Löw diagnostiziert hatte, nämlich wie eine Mannschaft, die in zwei zerfällt. Das Achtelfinale gegen die Schweiz stand immerhin schon im Zeichen einer erdrückenden Überlegenheit, im Viertelfinale erspielten sich die starken Belgier keine echte Torchance und die Niederländer im Halbfinale nur eine halbe. In der Defensive funktioniert Argentinien.

Was aber die Kreativität anbelangt, sind di Marías Schnelligkeit, Dribbelstärke und Geistesgegenwart schwer zu kompensieren. Hinter ihm liegt die beste Saison seiner Karriere, gekrönt vom Champions-League-Sieg mit Real Madrid. Nicht der eitle Cristiano Ronaldo war in den beiden Halbfinals gegen die Bayern und im Endspiel gegen Atletico die überragende Persönlichkeit. Sondern die Nudel aus Rosario. Vor der Saison hätte ihn Real beinahe an den FC Arsenal abgegeben, aber dann sprach der neue Trainer Carlo Ancelotti ein Machtwort und schickte lieber Mesut Özil nach London. Jetzt steht di María bei Paris St. Germain und Monaco und den beiden Klubs aus Manchester auf der Liste, also bei allen, die viel Geld haben. Di María sagt dazu... nichts. Nur dass er am Sonntag unbedingt das WM-Finale spielen und gewinnen will.

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