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Gross

© Imago

Serie: "Die Spannung war unglaublich“

Deutsche Athleten beschreiben ihren olympischen Moment: Schwimmer Thomas Rupprath über Michael Groß.

Im Jahr 1984 war ich sieben Jahre alt. Ich war ein kleiner Junge, der im Schwimmverein Neusser SV übte. Schwimmen war neben Fußball meine große Leidenschaft. Deshalb war es klar, dass ich bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles die Schwimm-Wettbewerbe ganz besonders aufmerksam verfolgt habe. Als Siebenjähriger schaust du natürlich viel, aber Schwimmen hat mich begeistert, weil da dieser große Deutsche im Becken war. Dieser große Deutsche war Michael Groß, und das dramatischste Rennen für mich war sein Auftritt über 200 Meter Schmetterling. Da war ich hellauf begeistert.

Mich hatte beeindruckt, wie er geschwommen ist, mit dieser niedrigen Frequenz und dieser großen Spannweite. Natürlich konnte ich damals mit dem Wort Frequenz noch nichts anfangen. Damals sagte ich bloß: Der zieht aber wenig im Vergleich zu den anderen. Der muss weniger Schwimmzüge machen, als die Schwimmer neben ihm. Und was mich auch noch schwer beeindruckt hat, war die Eleganz und die Ästhetik, mit der er sich durchs Wasser gezogen ist – obwohl er doch so groß war.

Michael Groß trat in drei Einzel-Finals bei diesen Olympischen Spielen an, über 100 Meter und 200 Meter Schmetterling und über 200 Meter Freistil. Zweimal holte er Gold, nur über 200 Meter Schmetterling, da bekam er Silber. Aber dieses Rennen war trotzdem noch aufregender, als es die anderen schon waren.

Groß war der klare Favorit in diesem Finale. Er war 1982 Weltmeister auf dieser Strecke geworden und hatte 1983 einen Weltrekord aufgestellt. Im Halbfinale in Los Angeles hatte er auch die schnellste Zeit geschwommen. Das alles wusste ich damals natürlich nicht so genau. Vielleicht hatte ich davon gehört, aber das hatte ich nicht gespeichert. Ich ließ mich mitreißen von dem, was ich im Fernsehen sah.

Von Anfang an führte Groß, und was ich damals nicht wirklich realisierte: Bei den Durchgangszeiten lag er nur knapp unter den Zeiten seines Weltrekordrennens. Dann kam die letzte Bahn, und jeder dachte, dass Groß gewinnen würde. Er hatte eine halbe Länge Vorsprung auf die anderen. Doch dann schwanden nach und nach seine Kräfte. Die anderen kamen immer näher. Der Amerikaner Pablo Morales war besonders stark. Da hatte der Fernsehkommentator, es war Jörg Wontorra, die berühmten Worte geschrien: „Flieg, Albatros, flieg.“ Da waren nur es noch ein paar Meter bis zum Ziel. Die Spannung war unglaublich, und ich fieberte mit.

Ich hatte damals auch schon Talent zum Schmetterlingsschwimmen, in den nächsten Jahren sollte das deshalb auch meine Stilart werden. Mit Michael Groß hatte das aber nichts zu tun.

Mit dem fieberte ich nur mit, wie wohl jeder in Deutschland mitgefiebert hatte.

Noch ein Zug bis zum Anschlag, Groß streckte sich nach vorne, er schaute nach oben. Aber es hatte nicht gereicht. Doch nicht der Amerikaner Pablo Morales hatte Groß noch abgefangen. Der Australier John Siben, der eher als Außenseiter gestartet war, hatte einen phantastischen Schlussspurt gezeigt und kam als Erster an. Mit 1:57,04 Minuten stellte er zugleich einen neuen Weltrekord auf. Michael Groß schlug nach 1:57,40 Minuten an, blieb 35 Hundertstelsekunden über seiner Bestzeit und gewann Silber. Ich war nach dem Rennen fix und fertig.

Als anschließend die Nationalhymnen gespielt und die Fahnen hochgezogen wurden, war ich aber wieder total fasziniert. Michael Groß ist mein ganz großes Vorbild geworden.

Aufgezeichnet von Frank Bachner. Die weiteren Folgen finden Sie hier hinter diesem Link.

Thomas Rupprath

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