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Sport: „Die Stimmung war komisch“

Meine EM – in unserer Serie erinnern sich deutsche Nationalspieler an ihre besonderen Turnier-Momente. Heute Folge 4: Hans-Peter Briegel über das unglückliche Aus 1984, das Beckenbauer zum Teamchef machte

Einen solchen Empfang in der Heimat hatte Jupp Derwall wirklich nicht verdient. Als wir 1984, nach dem Vorrundenaus mit der Nationalmannschaft zurück in Deutschland waren, wurde der Bundestrainer auf dem Frankfurter Flughafen richtig niedergemacht. Es waren nicht viele, die ihn mit Schmährufen bedacht haben, unangenehm war es trotzdem. Doch nach allem, was vor und während der EM passiert war, musste es wahrscheinlich so kommen.

Unsere Mannschaft, die noch zwei Jahre zuvor in Spanien Vizeweltmeister geworden war, hatte sich schon in der Qualifikation sehr schwer getan. Keiner der acht EM-Teilnehmer hatte sich mit weniger Punkten qualifiziert, am Ende waren wir nur dank eines 2:1-Heimsieges gegen Albanien bei der EM in Frankreich dabei. Gerd Strack vom 1. FC Köln hat das entscheidende Tor fünf Minuten vor dem Schlusspfiff erzielt. Nach dieser zähen Qualifikation stand Jupp Derwall schon vor der Europameisterschaft gehörig unter Druck. Er galt als zu weich für die Mannschaft. Es stimmt, dass er die Zügel nicht so straff gespannt hat. Ich bin mit seiner Führung sehr gut klar gekommen, andere vielleicht nicht so. Überhaupt hatte ich keine Probleme mit Derwall.

Schon vor unserem ersten EM-Spiel gegen Portugal gab es viel Theater um den Bundestrainer. Es wurde gemunkelt, dass er nach dem Turnier auf jeden Fall abgelöst werden würde: Wenn wir nicht ins Halbfinale kommen, so hieß es, ist der Derwall weg. Man kann sich vorstellen, dass uns das belastet hat, dass wir auch nicht so gefestigt waren. Dabei hatten wir damals gar keine schlechte Mannschaft mit Toni Schumacher im Tor, Uli Stielike, den beiden Försters und mir in der Abwehr, mit Karl-Heinz Rummenigge und den jungen Wilden Matthäus, Brehme, Buchwald, Völler und Littbarski, die alle sechs Jahre später in Italien Weltmeister wurden.

Angesichts des großen Wirbels um unseren Trainer sind wir sogar einigermaßen gut in das Turnier hineingekommen. Gegen die Portugiesen, gegen die wir in der Qualifikation noch verloren hatten, haben wir in Straßburg 0:0 gespielt, und nach dem 2:1 gegen Rumänien, bei dem Rudi Völler beide Tore erzielt hatte, waren unsere Chancen bestens, das Halbfinale zu erreichen. Im letzten Gruppenspiel gegen Spanien hätte ein Unentschieden zum Weiterkommen genügt. Heute gilt 1984 als einer der Tiefpunkte der deutschen Fußball-Geschichte. Dabei vergisst man, wie unglücklich unser Ausscheiden zustande kam. Bis zur 90. Minute stand es noch 0:0. Dann gab es einen Freistoß im Mittelfeld, der Ball kam auf die rechte Seite, ein Spanier flankte in unseren Strafraum über Stielike und Förster hinweg, am zweiten Pfosten flog Antonio Maceda, der blonde Libero der Spanier, heran, völlig ungedeckt, und wuchtete den Ball mit einem Flugkopfball über die Hand von Toni Schumacher hinweg ins Tor. Praktisch mit der letzten Aktion des Spiels waren wir besiegt – und ausgeschieden.

Zwischen 1980 und 1986 habe ich mit der Nationalmannschaft an vier Turnieren teilgenommen, dreimal stand ich im Finale – nur 1984 in Frankreich haben wir die Vorrunde nicht überstanden. Aber wie das so ist mit dem menschlichen Gedächtnis: An die Erfolge erinnert man sich blendend, die Misserfolge blendet das Gedächtnis irgendwann aus. Ich kann mich wirklich nicht erinnern, dass Toni Schumacher in diesem Spiel gegen Spanien kurz vor der Pause einen Elfmeter von Carrasco gehalten hat.

Allerdings weiß ich, dass ich zweimal an die Latte geköpft habe. Auch wenn uns ein 0:0 genügt hätte, haben wir also nicht gemauert. Wir waren damals sehr offensiv eingestellt, das System war gut und mutig. Jupp Derwall hat auch gegen die Spanier drei Stürmer aufgeboten. Ich hatte während des Spiels nie das Gefühl, dass wir verlieren könnten.

Nach der Niederlage hat die Mannschaft noch im Hotel zusammengesessen. Die Stimmung war ganz komisch. Hermann Neuberger, der DFB-Präsident, hat noch eine Rede gehalten, die ich als sehr negativ in Erinnerung habe. Doch zum Glück hatte ich in diesem Sommer andere Sorgen. Ich stand vor meinem Wechsel von Kaiserslautern zu Hellas Verona, deshalb konnte ich mich mit der enttäuschenden EM nicht mehr lange aufhalten. Ich bin schon bald nach meiner Rückkehr aus Frankreich nach Italien gereist, musste dort eine Unterkunft suchen und mich in der neuen Umgebung erst einmal zurechtfinden. Das war aufregend genug. In Italien hat mich auch die Nachricht erreicht, dass Franz Beckenbauer die Nationalmannschaft als Teamchef übernimmt. So etwas war schon vorher gemutmaßt worden. Überrascht hat es mich jedenfalls nicht.

Aufgezeichnet von Stefan Hermanns.

Hans-Peter Briegel

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