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Sport: Die Vergangenheit ist schneller

Nach seinem Bremsmanöver lebt Michael Schumachers Ruf des kompromisslosen Rennfahrers wieder auf

Es war kein Zufall, dass Michael Schumacher in der Ecke stand. Bei der traditionellen Fahrerparade um die Strecke von Monte Carlo hatte sich der Formel-1-Rekordweltmeister auf dem Lkw-Anhänger ganz nach hinten verzogen und nur sporadisch Kontakt mit einem seiner Berufskollegen. Michael Schumacher hat es geschafft, sich selbst aus einem Kreis von Egoisten auszugrenzen.

Die Formel 1 hat ihren erfolgreichsten Protagonisten öffentlich als Lügner und Betrüger abgestempelt. Nach Schumachers mysteriösem Ausrutscher in der letzten Minute des Qualifikationstraining am Samstag, durch den seine Bestzeit von anderen Piloten nicht mehr unterboten werden konnte, erkannte ihm die Rennleitung nach stundenlanger Beratung die Poleposition ab und setzte ihn auf die letzte Startposition. Nach Auswertung aller relevanten Daten und der Fernsehaufzeichnungen fanden die Offiziellen „keinen triftigen Grund“, warum Schumacher in der fraglichen Situation „mit solch übertriebenem, exzessivem und ungewöhnlichem Druck“ gebremst haben könnte und kamen zu dem Schluss, dass er sein Auto „vorsätzlich auf der Strecke geparkt“ habe, um die Konkurrenten zu behindern.

Schumacher und sein Team Ferrari blieben bei der Version, es habe sich um einen Fahrfehler gehandelt. „Ich bin wirklich enttäuscht, dass ich sofort vorverurteilt wurde“, sagte Schumacher. „Ich habe ein reines Gewissen. Ich habe den Rennkommissaren alles erklärt, und es hat alles mit den Daten übereingestimmt, aber sie haben mir einfach nicht geglaubt.“

Der Grund für den Mangel an Glaubwürdigkeit könnte in der Vergangenheit jenes Piloten liegen, in der die Grenze zwischen Brillanz und Ignoranz bisweilen schwer ersichtlich war. „Jeder hat schwarze Flecken auf seiner Weste“, sagte Schumacher. „Ich glaube schon, dass ich behaupten darf, dass ich in 16 Jahren Formel 1 überwiegend eine weiße Weste hatte.“ Die schwarzen Flecken resultieren aus Schumachers Kompromisslosigkeit im Rennwagen, mit der er immer wieder spektakuläre Siege errungen und gleichzeitig die Anzahl Menschen erhöht hat, die er ganz unverblümt als „Feinde“ bezeichnet. Jacques Villeneuve gehört seit 1997 dazu. Damals hatte Schumacher erfolglos versucht, den Kanadier im letzten Saisonrennen von der Strecke und sich so zum Titel zu rempeln. Zunächst beteuerte er vehement seine Unschuld, erst später entschuldigte er sich dafür. Schumachers früherer Teamkollege Rubens Barrichello kündigte ihm vor zwölf Monaten in Monaco nach einem harten Überholmanöver die Freundschaft, und selbst Ralf Schumacher ist nach mehreren unbrüderlichen Begegnungen auf der Strecke nicht mehr gut auf den Konkurrenten in der eigenen Familie zu sprechen.

Seit der Aktion vom Samstag, die der frühere Weltmeister Jackie Stewart als „unsportlichsten Moment in der Geschichte der Formel 1“ bezeichnete, haben sich sogar Schumachers letzte Verbündete von ihm abgewendet. Der Williams-Pilot Mark Webber etwa zeigte sich „enttäuscht“ und verglich das Manöver des Ferrari-Piloten mit dem berüchtigten Ohrbiss des Boxers Mike Tyson gegen Evander Holyfield. Angesichts dieses Meinungsbildes ist es nicht verwunderlich, dass beim nächsten Treffen der Fahrergewerkschaft GPDA über Konsequenzen beraten werden soll. Selbst die Absetzung Schumachers als GPDA-Vorsitzender scheint nicht ausgeschlossen – „schließlich weist er ja immer auf die Fairness hin“, wie Nico Rosberg anmerkte. Nur Ferrari steht öffentlich weiter zu seinem Angestellten. „Wir lehnen die Entscheidung der Rennleitung rundweg ab“, sagte Teamchef Jean Todt. „Michael wurde ohne Beweis für schuldig befunden.“

Vermutlich wird auch nie restlos geklärt werden können, ob Schumacher nun ein 37 Jahre alter Kosmopolit ist, der ernsthaft glaubt, die Weltöffentlichkeit mit einem nach Meinung fast aller Experten vergleichsweise plumpen Manöver täuschen zu können, oder ein 86-maliger Grand-Prix-Sieger, der eine der einfachsten Kurven der Formel 1 nicht unfallfrei übersteht. „Wer mich kennt, weiß, wie ich wirklich bin“, sagte Michael Schumacher, nur: Wer kennt Michael Schumacher eigentlich? Am Sonntag schienen selbst sein Manager Willi Weber und seine Pressesprecherin Sabine Kehm überfordert mit diesem Rätsel. Weber nahm zwar pflichtgemäß die Worte „Skandal“ und „normaler Fahrfehler“ in den Mund und witterte eine Verschwörung, doch ratlos standen sie beieinander. „Warum sollte er so etwas tun?“, fragte Kehm. Das ist die Frage, die nach dem Wochenende von Monaco bleibt. Vermutlich weiß nur ein Mensch auf der Welt die Antwort.

Christian Hönicke[Monte Carlo]

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