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„Ich habe bestimmte Sportarten und einzelne Disziplinen aus dem Kalender meines Interesses gestrichen“, sagt Gunter Gebauer.

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Doping und Betrug im Sport: Was kann ich noch glauben? Was will ich noch glauben?

Der Sport hat im vergangenen Jahr an Vertrauen verloren. Lässt sich der Verfall im nächsten Jahr aufhalten? Es braucht schon viele Maßnahmen ohne Rückfall, um wirklich etwas zu bewegen. Ein Essay.

Ein Essay von Friedhard Teuffel

Auch in uns Zuschauern tobt manchmal der Wettkampf. Es treten gegeneinander an: Herz gegen Hirn. Das Herz hüpft ganz gerne mal, wenn eine fabelhafte Leistung vor uns im Stadion oder am Fernseher vorbeirast. Unglaublich! Jubelt das Herz innerlich. Doch dann kommt der Return vom Hirn. Von wegen unglaublich, raunzt es das Herz an. Unglaubwürdig!

Wenn der Sport jetzt seinen Jahresabschluss macht, dann wird ein dickes Minus herauskommen. Die Glaubwürdigkeit ist nicht mehr dieselbe wie am Anfang des Jahres. Es gab schon vorher Staatsdoping, Betrugsserien, Kinderdoping, aber das auslaufende Jahr hat die Glaubwürdigkeit noch einmal weiter nach unten gezogen. Weil wir noch mehr über Doping wissen als vorher und was der Sport braucht, um integer zu sein – und internationale Sportverbände dennoch nicht danach handeln.

Nur auf den ersten Blick ist die Glaubwürdigkeit im Sport ein weicher Faktor. In Wirklichkeit kann sie zur harten Währung werden. „Wenn man vom Glauben abfällt, dann ist der Sport nichts mehr wert“, sagt der Berliner Sportphilosoph Gunter Gebauer. Der internationale Hochleistungssport lebt davon und verkauft sich damit, wahre Märchen zu erzählen, moderne Heldensagen. Ein gedopter Held ist jedoch kein Held mehr und die Geschichte nicht mehr erzählenswert.

Eigentlich verfügt der Sport auch über einige Mittel, um uns glauben zu lassen: Dopingproben in Urin und Blut. Langzeit-Blutprofile. Elektronische Zeiten- und Weitenmessungen. Superzeitlupen. „Der Sport ist der einzige Bereich, in dem die Leistung unter scheinbar völlig transparenten Bedingungen erbracht wird“, sagt Gebauer, „die Visibilität erschien nahezu als Garant für Glaubwürdigkeit“. Nur trügt die Sichtbarkeit des Sports. Wir sehen nicht, was wirklich drin ist.

Der Fußball hätte Kapital schlagen können. Hat er jedoch nicht

Es war schließlich eine Whistleblowerin, Julia Stepanowa, die noch einmal den Weltsport erschütterte mit ihren Aussagen über systematisches Doping in Russland, selbst die russische Anti-Doping-Agentur gibt kein gutes Bild ab (siehe Kasten rechts und Meinungsseite). Der Bericht des kanadischen Juraprofessors Richard McLaren im Auftrag der Welt-Anti-Doping-Agentur gab dem dann noch ein amtliches Siegel. „Wenn ein Staat beim Doping sogar seine Geheimpolizei einsetzt, dann ist alles infiziert. Da ist nichts schönzureden“, sagt Gebauer. Russland als große Sportnation steht blank da, wenngleich es auch andere Länder gibt, in denen Doping systematisch organisiert oder systematisch geduldet sein könnte, wie Kenia oder Jamaika. Und was soll man davon halten, wenn im Olympia-Gastgeberland Brasilien monatelang vor den Spielen nicht richtig kontrolliert wird?

Es war in diesem Jahr nicht eine Entscheidung allein, die so viele vom Glauben abfallen ließ. Aber eine steht im Zentrum. Es ist die Weigerung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Russland von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro auszuschließen. Also die Konsequenz aus dem für alle Sichtbaren zu ziehen. Selbst wenn es dabei auch saubere Athleten getroffen hätte. „Hier kann nicht die Unschuldsvermutung wie in einem Strafverfahren gelten. Es geht darum, den Sport rein zu halten. Es kommt auf das Hier und Jetzt an. Da kann man es hinnehmen, wenn es auch einen Unschuldigen trifft“, findet Gebauer.

Hans Wilhelm Gäb, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Sporthilfe, gab nach dem nicht erfolgten Ausschluss Russlands seinen olympischen Orden zurück. „Der internationale Sport hat keine moralische Instanz mehr“, beklagte er. Wie man es besser macht, führte dem IOC wenig später das Internationale Paralympische Komitee vor – und ließ die russische Mannschaft nicht bei seinen Spielen in Rio starten. Eine Blamage für das IOC.

Der Weltsport verlagert sich auch nach Afrika. Ist das nicht gut?

Der Fußball hätte aus diesem olympischen Versagen durchaus noch mehr Kapital schlagen können. Hat er jedoch nicht. Weil er selbst mit der Glaubwürdigkeit jongliert hat und sie ihm in mehreren Fällen auf den Boden gekracht ist. Die aufgeblähte Europameisterschaft in Frankreich gab einen ersten Eindruck davon, was passiert, wenn sich der Fußball überschätzt. Spiele ohne Reiz und ohne Wert und ein nach dem Turnierverlauf merkwürdiger Europameister Portugal bleiben von dieser EM in Erinnerung. Ohne Island wäre sie vielleicht ein Desaster geworden.

Das Jahr klingt nun mit der Aussicht darauf aus, dass der Weltverband Fifa seine WM ebenfalls aufblähen könnte. Auf 48 Teams. Damit würde sich der Fifa-Präsident Gianni Infantino wohl bei mehreren kleineren Verbänden dafür erkenntlich zeigen, dass sie ihn gewählt haben.

In seine eigene Glaubwürdigkeitskrise stürmt der Fußball mit einem weiteren Vorstoß. Mehr Transparenz und weniger Fehlentscheidungen durch den Videobeweis. „Ich glaube nicht, dass es dabei um Fairness geht oder um Einsicht“, sagt Gebauer. Die Fifa werde vielmehr vom Handlungsdruck der Zuschauer und des Fernsehens getrieben, der durch die Omnipräsenz der Kameras beinahe jeden Fehler der Schiedsrichter aufdeckt. Die Sorge um dem Marktwert der Übertragungsware Fußball dürfte eine große Rolle spielen.

Überhaupt ist in diesem Jahr nicht der Eindruck entstanden, dass sich große internationale Sportverbände so viel um die Glaubwürdigkeit des Sports scheren. Dass sie den Verlust wahrnehmen und oben auf ihre Agenda gesetzt hätten, dagegen etwas zu tun. Die ersten Europaspiele hatten die nationalen olympischen Komitees Europas nach Baku vergeben. Die Premiere in dieser Autokratie 2015 hat die westeuropäische Öffentlichkeit kaum erreicht. Die zweite Auflage hätte in Amsterdam stattfinden sollen. Doch 2019 treffen sich Europas Sportler nun in Minsk, im einzigen europäischen Land, in dem die Todesstrafe noch vollstreckt wird.

Die westlichen Gesellschaften haben allmählich das Interesse und die Überzeugung verloren, dass solche Großveranstaltungen für sie ein Gewinn sein könnten. Es herrscht die Überzeugung, dass sie bei einer solchen Veranstaltung fremdbestimmt sind von Organisationen wie dem IOC. Also verlagert sich der Weltsport immer mehr nach Asien, nach Mittel- und Südamerika, auch nach Afrika. Ist das nicht gut? Sollen jetzt nicht auch mal andere dran sein? Muss nicht endlich Schluss sein mit dem arroganten Eurozentrismus im Sport? „IOC-Präsident Bach teilt uns den geopolitischen Wandel verbrämt als frohe Botschaft mit“, sagt Gebauer. Doch daran glaubt er nicht – wegen der Glaubwürdigkeit.

Ein Anfang wäre nun der Ausschluss Russlands von den Winterspielen 2018

„Glaubwürdigkeit ist ein hohes Gut in der westlichen Kultur. Man will keine Fakes, sondern man schätzt das Original, die Innerlichkeit, ob jemand daran glaubt, was er sagt“, betont Gebauer. Das unterscheide die westliche Kultur von anderen, in denen beispielsweise auch die eigene von Hand geleistete Unterschrift nicht so viel gilt und man wie in Japan auch mit einem Stempel unterschreiben könne. Diese grundsätzliche Haltung bedeutet auch etwas für den Sport. „Verstöße gegen die Echtheit des Sports werden in anderen Kulturen nicht so scharf diskriminiert. Doping gilt dort nicht als so großes Problem“, sagt Gebauer. Der Weltsport braucht also das Interesse, die Unterstützung und die Teilhabe westlicher Gesellschaften – um der Glaubwürdigkeit willen.

Lässt sich der Verfall im nächsten Jahr aufhalten? Glaubwürdigkeit kommt auf jeden Fall nicht im selben Tempo zurück, wie sie verloren gegangen ist. Und es braucht schon viele Maßnahmen ohne Rückfall, um wirklich etwas zu bewegen. Ein Anfang wäre nun der Ausschluss Russlands von den Winterspielen 2018 in Pyeongchang. „Bach müsste den Russen aber gleichzeitig den Weg zurück in die Sportgemeinschaft zeigen“, sagt Gebauer, „so wie ein Straftäter auch immer eine Chance haben muss, zurückzukehren in die Gesellschaft.“

Bis solche Maßnahmen beschlossen und umgesetzt werden, sind wir als Zuschauer weiter auf uns allein gestellt. Wie wir mit dem Sport umgehen, hängt auch von zwei Fragen ab. Was kann ich noch glauben? Und was will ich noch glauben? Gunter Gebauer sagt: „Ich habe bestimmte Sportarten und einzelne Disziplinen aus dem Kalender meines Interesses gestrichen, Sprints und Langstreckenwettbewerbe in der Leichtathletik, auch wenn die Leichtathletik früher selbst meine Sportart war, die Sportart meiner Heimat und meiner Familie.“ So viel zum Nicht-mehr-glauben-Können.

Und woran wollen wir noch glauben? Gebauers Bekenntnis lautet: „Ich will glauben, dass es Menschen gibt im Sport, die Außergewöhnliches leisten. Über spielerisch zustande gekommene Differenzen, Askese, Zielstrebigkeit, Konzentration, also Eigenschaften, die in einer bürgerlichen Gesellschaft sehr nützlich sein können.“

Die Glaubensfrage ist auf jeden Fall eine sehr persönliche und den westlichen Gesellschaften entsprechend individuelle. Sich ehrlich zu machen wäre auf jeden Fall das richtige Aufwärmprogramm für die nächsten Großereignisse. Und integer zu werden das richtige Wettkampfziel.

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