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Wenn aus einer Mannschaft ein Schalentier wird. Ganz vorne Kapitän Sebastian Kehl, der Kopf von Borussias Feierraupe. Foto: dapd

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Sport: Dortmunds Säule

Kapitän Kehl wird der Titel besonders gegönnt, weil er sich nach vielen Verletzungen zurückgekämpft hat.

Als die erste große Euphoriewelle verebbt war, gab es im Mittelkreis des Dortmunder Stadions eine schöne, ja fast anrührende Szene: Während die junge Garde singend und trinkend im Kabinentrakt verschwunden war, trafen sich drei Männer im Mittelkreis, die sich in der noch jungen Garde des alten und neuen Deutschen Meisters wie Großväter vorkommen müssen: Roman Weidenfeller, Patrick Owomoyela und Sebastian Kehl legten ihre Arme umeinander und zelebrierten ihre ganz private Ü-30-Party.

Es waren Momente des Innehaltens: Der Dortmunder Triumphzug zur Meisterschaft, er ist auch eine Genugtuung für Sebastian Kehl. Der 32-Jährige ist so oft durch Verletzungen zurückgeworfen worden und immer wieder aufgestanden. Im Mai des vergangenen Jahres, als das Dortmunder Stadion nach dem finalen Schritt gegen Nürnberg von einem Sturm der Begeisterung bebte, stand Kehl in Zivil am Rand und betrachtete mit seinem Sohn auf dem Arm aus der Entfernung das bunte Treiben seiner Mitspieler.

Es war eine Mischung aus Freude über das sensationelle Auftreten des jüngsten Meisters der Bundesligageschichte und Enttäuschung, mal wieder zum Zuschauen verurteilt zu sein. Als nach dem letzten Spieltag die Meisterschale überreicht wurde, stand Kehl erneut im Abseits. Für ihn nahm Torhüter Roman Weidenfeller die Trophäe entgegen. Eigentlich hätte diese Ehre Kehl zugestanden, doch der verzichtete. Zu gering, so die Selbsteinschätzung, sei sein Beitrag am Titelgewinn gewesen.

Was er damals verpasste, wird Kehl am 5. Mai nachholen. Er wird ganz vorne auf dem Podest stehen, wenn Ligachef Reinhard Rauball den Teller erneut in die Dortmunder Obhut gibt. „Darauf freue ich mich unheimlich“, sagt er mit einem Lächeln. Beim inzwischen achtfachen Meister sind sich alle einig, dass diese Auszeichnung keiner mehr verdient hat als der nimmermüde Kämpfer Kehl. „Er ist eine Säule“, sagt Weidenfeller, „Fachleute und Fans spüren, dass er sehr wichtig für den Verein ist.“ Und Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke ergänzt: „In Topverfassung ist Sebastian für jeden Klub ein Gewinn – und für den BVB allemal.“ Für Trainer Jürgen Klopp ist Kehl „ein absolutes Vorbild. Die Rolle, die er in unserer Mannschaft spielt, ist wahnsinnig wichtig.“ Die enorme Wertschätzung, die ihm bei seinem Klub entgegengebracht wird, für den er seit mehr als zehn Jahren spielt, lässt sich daran ablesen, dass sein Vertrag Ende des letzten Jahres vorzeitig bis zum 30. Juni 2013 verlängert wurde.

Wer nachvollziehen will, wie groß die Leidensfähigkeit dieses Profis ist, muss sich die Krankenakte des Sebastian Kehl näher betrachten. Die nicht enden wollende Pechsträhne des Vizeweltmeisters von 2002 und WM-Dritten von 2006 begann vor sechs Jahren mit einem Tritt. Der Münchener Hasan Salihamidzic schlitzte seinem Gegenspieler bei einem Zweikampf mit dem Stollen das Knie auf, Kehl fiel lange aus. Es folgten eine Verletzung im Adduktorenbereich, eine langwierige Sehnenentzündung im Schambein, die zwei Operationen erforderte, und dann im September 2010 ein Riss im Sehnenansatz des linken Hüftbeugemuskels. Als sei das alles nicht genug, gab es als vorerst letzten Rückschlag eine entzündete Schleimhaut im rechten Knie, die Kehl erneut unter das Messer zwang.

Viele hätten bei einer solchen Kette von Rückschlägen die Karriere beendet. Kehl kämpfte sich immer wieder heran. Und er wurde belohnt mit einer Saison, die er endlich einmal ohne größere Blessuren absolvieren konnte. Der Routinier zwischen so vielen jungen Kollegen war einer der Garanten für den Dortmunder Rekordlauf, er sorgte als resoluter Balleroberer und kluger Taktgeber für Sicherheit und Balance. Allerdings reichte das allein nicht, den härtesten Kritiker zu überzeugen. Während Trainer Jürgen Klopp nicht müde wurde, seinen Kapitän über den grünen Klee zu loben, monierte Sohn Luis, der Papa schieße einfach zu wenig Tore.

Doch dann kam das Revierderby am 31. Spieltag auf Schalke, als Kehl einem abgewehrten Eckball nachging und den Ball aus kurzer Entfernung über die Linie drückte. Es war der Siegtreffer. Er hoffe doch schwer, „dass mein Sohn zugeschaut hat“, gab Kehl mit breitem Grinsen zu Protokoll.

Luis Kehl hatte dann selbst noch einen großen Auftritt, an diesem Samstag. Während die Dortmunder Mannschaft nach dem Sieg gegen Borussia Mönchengladbach auf dem Rasen feierte und sich gegenseitig mit Bier begoss, schnappte er sich einen Ball, dribbelte aufs Tor zu und traf – unter dem Jubel des ganzen Stadions.

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