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Sport: Duell der Disziplin

Im EM-Finale zwischen Griechenland und Portugal treffen zwei defensiv orientierte Teams aufeinander

Am Mittwochabend, gleich nach Portugals 2:1-Sieg in Halbfinale über die Niederlande, wurde Trainer Luiz Felipe Scolari gefragt, gegen wen er denn am liebsten im Endspiel antreten würde. Diese Frage wird bei passender Gelegenheit immer wieder gestellt, und jeder Trainer gibt eine mehr oder weniger identische Antwort: Wir können uns den Gegner nicht aussuchen, jede Mannschaft ist gleich schwer, wer ein Turnier gewinnen will, muss jeden schlagen können. Scolari wählte eine andere Variante: „Am liebsten würde ich gegen gar keine Mannschaft spielen, dann wären wir kampflos Europameister.“

Scolari meint so etwas ernst.

Er ist zwar Brasilianer von Geburt, aber ausschweifender Angriffsfußball ist seine Sache nicht. Für Scolari zählt nicht die Schönheit, sondern das Ergebnis, zur Not auch ein kampfloser Sieg. Wenn Portugal heute gegen Griechenland aufläuft (20.45 Uhr, live im ZDF), tritt nicht nur der kuriose Fall ein, dass das Eröffnungsspiel der EM seine Neuauflage im Finale erlebt. Es ist das Finale zweier defensiv orientierter Mannschaften, auch wenn das bei den Portugiesen auf den ersten Blick nicht den Anschein hat.

Als Luiz Felipe Scolari Brasilien vor zwei Jahren zum fünften WM-Titel führte, hielt sich der Dank der Heimat in Grenzen. Die brasilianischen Fans hätten lieber eine offensivfreudigere Mannschaft gesehen, angeführt vom Volkshelden Romario, den Scolari aber partout nicht mitnehmen wollte. Romario könne sich taktischen Zwängen nicht unterordneten, sagte der Trainer. Wer seinen Ansprüchen genügen will, muss rennen und grätschen. Nicht nur, aber auch. Lange Zeit hat man ihn in Portugal misstrauisch als Söldner beäugt. Scolari hat aus den in romantischer Unbekümmertheit nach vorn stürmenden Portugiesen eine disziplinierte Defensivmannschaft gemacht. Die zentralen Figuren seines Systems sind nicht die Individualisten Deco, Luis Figo und Cristiano Ronaldo, sondern die Innenverteidiger Ricardo Carvalho und José Andrade. Sie stehen dafür, dass kein Team so wenig gegnerische Torchancen zulässt wie das portugiesische.

Vor ihnen verrichtet Maniche den undankbaren Job, die Räume des gegnerischen Mittelfeldspiels zu schließen. Wenn er sich verausgabt hat, übernimmt der noch defensiver eingestellte Petit. Wie perfekt das funktionieren kann, war beim Halbfinale gegen die Niederlande zu sehen. Petit kam aufs Feld, nachdem Andrades Eigentor die Holländer auf 1:2 herangebracht hatte. Er organisierte die Raumaufteilung in der eigenen Hälfte so geschickt, dass der Gegner sich trotz ständigen Ballbesitzes keine einzige Torchance herausspielte. Unter Petits Regie führten die Portugiesen das Kunststück vor, einen knappen Vorsprung gegen eine starke Offensivmannschaft eine halbe Stunde lang über die Zeit zu retten. Ähnliches hatte der Holländer Dick Advocaat bei einer 2:1-Führung im Vorrundenspiel gegen Tschechien versucht – und war mit 2:3 grandios gescheitert.

Nur weil das defensive System so gut funktioniert, können Figo und Deco glänzen, und das auch nur, wenn sie die Regeln einhalten. Als der Weltstar Figo im Viertelfinale gegen England nur noch für die Galerie spielen wollte, winkte Scolari ihn eine Viertelstunde vor Spielschluss vom Platz – bei einem 0:1-Rückstand. Figo reagierte zunächst beleidigt und parierte dann doch. Im Halbfinale ordnete er sich Deco unter und spielte eine überragende Partie als Flügelstürmer.

„Auch ich muss in dieser Mannschaft hart arbeiten“, sagt der Künstler Deco. Er bekam seinen Stammplatz erst nach dem 1:2 zum Auftakt gegen Griechenland. Scolari hatte dieses Spiel nicht wie gewohnt wild gestikulierend verfolgt, sondern still auf der Bank sitzend. Das mag auf einen Schock zurückzuführen sein, vielleicht auch auf ein wenig Bewunderung. Otto Rehhagels Defensive funktionierte so gut, wie es Scolari auch gern sieht. Nur dass er der griechischen Variante mit Libero und Manndeckern das Konzept der Raumdeckung vorzieht.

Der griechische Stil basiert auf der überragenden Abwehr mit Manndecker Georgios Seitaridis und Libero Traianos Dellas als exponierten Persönlichkeiten. „Aber dabei übersehen viele, dass wir auch ganz gut Fußball spielen können“, sagte der Bremer Angelos Charisteas nach dem Halbfinalsieg über Tschechien. Die Folgen sind bekannt: Portugal kann heute zugleich Europameister werden und Revanche für die einzige bisher erlittene Niederlage nehmen.

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