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Sport: Ehemaliger Hertha-Profi fand in der Fußball-Provinz, was zählt

Den Mann mit der roten Jacke und der Trainingshose hält es nicht mehr auf der Bank. "Macht Druck, Jungs", brüllt er seinen Spielern zu.

Den Mann mit der roten Jacke und der Trainingshose hält es nicht mehr auf der Bank. "Macht Druck, Jungs", brüllt er seinen Spielern zu. Doch es ist zu spät: Der Schiedsrichter pfeift die Partie ab, die Mannschaft in den grün-schwarzen Trikots hat 1:2 verloren. Enttäuscht verlassen Spieler und Trainer den Platz, auf dem sie die meiste Zeit tonangebend gewesen waren. Männerturnverein Langlingen heißt der Verlierer, spielt in der Kreisliga Celle und ist nach der Niederlage Achter der Tabelle. Die Gegner haben Namen wie MTV Ahnsbeck, SV Großmoor oder SG Lachendorf. Fußball in der neunthöchsten deutschen Fußballklasse am Rande der Lüneburger Heide. Langlingens Trainer: Uwe Kliemann.

"Natürlich ist das enttäuschend, wenn man jede Menge Chancen hat und trotzdem vergeigt", sagt der ehemalige Hertha-Profi zehn Minuten nach Spielschluss. Der erste Ärger ist verflogen, Kliemann fügt sich wieder in den Rahmen, von dem er weiß, dass er ihn nicht verändern kann. Zu einem Verein weit ab vom Schuss, wo es kein Geld gibt, zieht es keine großen Talente. "Wir machen zu viele technische Fehler, aber damit muss man leben." Kliemann kann gut damit leben, solange seine Spieler alles geben. Seit vier Jahren ist er Trainer von MTV Langlingen, zuvor war er Trainer-Assistent und Jugendtrainer beim VfL Wolfsburg. "Damals kam Willi Reimann zum VfL und brachte seinen Assistenten mit, da war für mich kein Platz mehr." Über einen Bekannten kam Kliemann zum MTV Langlingen, und dort fühlt er sich wohl. "Das ist ja nicht nur eine sportliche Angelegenheit, sondern eine sehr persönliche Sache, man kennt hier alle Leute."

Der 50-Jährige lebt im benachbarten Müden/Aller und arbeitet in Braunschweig als Koordinator beim Projekt "Sport statt Gewalt", mit dem straffällig gewordene Jugendliche von weiteren Fehltritten abgehalten werden sollen. Außerdem gehört Kliemann zu den mehr als 200 Trainern, die im Auftrag des DFB in ganz Deutschland regelmäßige Lehrgänge für talentierte Jugendfußballer abhalten. Mit den 13- bis 17-Jährigen übt er das Kopfballspiel am Pendel, die Annahme, das Schießen mit dem Spann. "Wir hatten früher eine bessere Grundtechnik, aber wir haben ja auch in jeder freien Minute auf der Straße gebolzt. In den Dorfvereinen wird teilweise nur einmal die Woche trainiert, das ist viel zu wenig", sagt Kliemann.

Ansonsten gibt er sich wenig nostalgisch. 292 Bundesligaspiele für Oberhausen, Frankfurt und die Hertha, dabei 25 Tore geschossen, 1975 ein Länderspiel gegen Holland, durch zahlreiche Europapokalspiele als 1,95 Meter großer Funkturm bekannt - für Uwe Kliemann ist das alles Geschichte. "Natürlich ist es schön, wenn man noch erkannt wird, ich möchte die Zeit nicht missen, doch das ist für mich alles lange her." Wie bei vielen Profis steht es mit der Gesundheit nicht zum Besten: Ihn hindern eine Arthrose im rechten Knie und Herzprobleme durch die aktive Zeit ("Bei Fieber und Grippe wurde man ja immer fit gemacht, wir haben nie einen Internisten gesehen"). Ans Fußballspielen ist nicht zu denken.

Kontakt zu ehemaligen Mitspielern gibt es kaum, auch das Kapitel Berlin ist geschlossen. "Neulich hat mich Premiere als Co-Kommentator zum Spiel Hertha - HSV eingeladen. Da war ich das erste Mal seit zwei Jahren wieder in Berlin. Ich habe keine Sehnsucht nach der Großstadt, ich kriege schon zu viel, wenn ich in Braunschweig die Hochhäuser sehe." Er hat schon als Profi seinen Urlaub regelmäßig in Schleswig-Holstein verbracht und schätzt heute die Ruhe seiner neuen Heimat, das weite Land, die Pferdekoppel um die Ecke.

Und wenn doch ein Profiklub bei ihm anklopfen würde? "Dazu bin ich zu lange raus aus dem Geschäft. Der Druck wird außerdem im Herrenbereich immer größer. Als Jugendtrainer würde ich vielleicht noch mal bei einem größeren Verein arbeiten, das hat mir bei Eintracht Braunschweig und beim VfL Wolfsburg viel Freude gemacht." Vielleicht liegt es an den guten Erfahrungen als Jugendspieler, dass er bis heute bei seinem Stammverein Hertha Zehlendorf Mitglied ist. Bei diesem Namen funkeln die Augen kurz auf. Doch der äußerlich kaum veränderte Kliemann hat sich in der niedersächsischen Provinz eingerichtet. Es wirkt glaubhaft, wenn er sagt: "Ich habe hier sehr wertvolle Menschen gefunden, das zählt."

Joachim Göres

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