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Erinnerung an einen Helden. Andrés Escobar

© AFP

Als Andrés Escobar ermordet wurde: Ein Eigentor und sechs Schüsse

Am 2. Juli 1994 wurde Kolumbiens Fußball-Star Andrés Escobar ermordet. Wieso es dazu kommen konnte, ist bis heute unklar. Unser Autor versucht, die Ereignisse zu rekapitulieren.

Vor der Rückkehr nach Kolumbien meldete Andrés Escobar sich noch einmal zu Wort. Nicht verschwitzt und abgekämpft im Scheinwerferlicht der Mixed-Zone, wo einem Fußballspieler schon mal die richtigen Worte fehlen. Sondern in einem Essay für „El Tiempo“, die größte Tageszeitung Kolumbiens. „Das Leben endet nicht hier“, schrieb der Verteidiger von Nacional Medellín. „Wir haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder wir lassen uns lähmen von Wut und Gewalt. Oder wir überwinden uns und geben unser Bestes, um anderen zu helfen. Es ist unsere Wahl. Lasst uns bitte in Respekt miteinander umgehen! Das Leben ist noch nicht zu Ende.“

Da hatte er noch ein paar Tage.

Am 2. Juli 2014 jährte sich zum zwanzigsten Mal der Tag, an dem Andrés Escobar starb. Ermordet mit sechs Kugeln aus der Pistole eines Mannes, der im Sold der Drogenbosse stand. Humberto Muñoz Castro, der Todesschütze, soll Escobar noch zugerufen haben: „Danke für das Eigentor!“, aber vielleicht schrie er auch „Gooooooool!“, Tor! Die Quellen widersprechen sich, wie ohnehin einiges noch ungeklärt ist an dieser Geschichte, die 1994 die Fußball-Weltmeisterschaft in den USA überschattete. Gesichert ist, dass Andrés Escobar am 22. Juni ein Eigentor unterlief, Kolumbien in der Vorrunde ausschied und es zehn Tage später vor einer Bar in Medellin zu dem Mord kam, der die Welt schockierte. Escobar war da 27 Jahre alt.

Tragisches Ende. Escobar (links) im Spiel gegen die deutsche Nationalmannschaft, in der Rudi Völler damals noch kickte.
Tragisches Ende. Escobar (links) im Spiel gegen die deutsche Nationalmannschaft, in der Rudi Völler damals noch kickte.

© dpa

Kolumbien war damals ein gar nicht so geheimer Geheimfavorit auf den WM-Titel. Eine große Mannschaft, angeführt vom Strategen Carlos Valderrama, die Tore schossen Freddi Rincon und Adolfo Valencia. In der Abwehr sorgte Andrés Escobar für Ordnung. Im Zenit ihres Könnens stand diese goldene Generation des kolumbianischen Fußballs vor der Weltmeisterschaft in den USA. Im entscheidenden Qualifikationsspiel gegen Argentinien siegte sie in Buenos Aires 5:0, von 26 Spielen vor der WM ging gerade eins verloren.

In den Neunziger Jahren litt Kolumbien unter den blutigen Kämpfen der Drogenkartelle, die auch den Fußball steuerten. Der Patron von Nacional wie auch der Nationalmannschaft war Pablo Escobar, einer der Bosse des mächtigen Medellín-Kartells, Andrés hatte mit ihm nur den Namen gemein. Mit seinem Geld kaufte und unterhielt Nacional die Mannschaft, die 1989 die Copa Libertadores gewann.

Der Patron wollte unterhalten werden

Der Patron wollte für sein Geld unterhalten werden, also wurde schon mal die gesamte Mannschaft eingeflogen, wenn ihm der Sinn danach stand. „Wenn mich der Don Corleone zu einem Teller Pasta einlädt, kann ich das schlecht ausschlagen“, hat der damalige Nationaltrainer Francisco Maturana mal gesagt. Die Besuche hörten auch nicht auf, als Pablo Escobar schon unter Arrest stand. René Higuita, der verrückte Torwart, wurde dabei fotografiert. Weil er außerdem bei der Geldübergabe im Fall einer von Drogenhändlern entführten Frau beteiligt war, wurde er zu einem halben Jahr Gefängnis verurteilt. Pablo Escobar starb im Dezember 1993 im Kugelhagel einer kolumbianisch-amerikanischen Eliteeinheit. Und in den Kartellen und Klubs wurden die Posten und der Einfluss neu verteilt.

Demonstration und Erinnerung an den Fußballer Andrés Escobar am Rande eines Fußball-Spiels der kolumbianischen Nationalmannschaft.
Demonstration und Erinnerung an den Fußballer Andrés Escobar am Rande eines Fußball-Spiels der kolumbianischen Nationalmannschaft.

© AFP

Unter dem Einfluss dieser Gemengelage fuhr die kolumbianische Mannschaft zur WM in die USA. Es lief von vornherein nicht gut. Der Auftaktgegner Rumänien war sehr viel besser als sein Ruf und gewann das Spiel 3:1. Wilde Gerüchte um Todesdrohungen aufgebrachter Drogenbosse machten die Runde im kolumbianischen Quartier. Am 2. Juli 1994 gegen die USA ging es in Pasadena schon um alles oder nichts. Es kam die verhängnisvolle 34. Minute. Der US-Amerikaner John Harkes flankte von links in die Mitte, Escobar wollte klären und fälschte den Ball ins eigene Tor. Die Amerikaner legten noch ein zweites Tor nach, Valencia verkürzte erst in der Schlussminute auf 1:2 und Kolumbien war raus. Vorzeitig gescheitert, der 2:0-Sieg im letzten Spiel gegen die Schweiz interessierte nur noch die Statistiker.

Am 2. Juli, zehn Tage nach dem Eigentor von Pasadena, besuchte Andrés Escobar mit Freunden die Bar „El Indio“ in Medellín. In den frühen Morgenstunden wurde er auf dem Weg zu seinem Auto auf dem Parkplatz angepöbelt. Es wurde lauter, Humberto Muñoz Castro zog seine Waffe und schoss sechsmal.

Der Mörder war ein kleines Licht

Der Mörder war als Fahrer und Bodyguard ein kleines Licht im Medellin-Kartell, aber allein das war Anlass für Spekulationen, sie halten sich bis heute. Geschah der Mord an Andrés Escobar im Auftrag enttäuschter Drogenbosse, die mit Kolumbiens Ausscheiden viel Geld verloren hatten? Oder war es nur die Wahnsinnstat eines enttäuschten Fußballfans? Im Kolumbien vor zwanzig Jahren war ein Menschenleben nicht viel wert und Medellín galt als die gefährlichste Stadt der Welt.

Zu Escobars Beerdigung kamen 120 000 Menschen, unter ihnen der Staatspräsident. Der kolumbianische Fußball hat lange gebraucht, um sich von seinem Trauma zu erholen. Es ist eine neue goldene Generation um den großartigen James Rodriguez, die in diesen Tagen die Welt in Atem hält. Am Freitag spielt das neue Kolumbien in Fortaleza gegen Brasilien um den Einzug ins Halbfinale. Zwanzig Jahre und zwei Tage nach dem Mord an Andrés Escobar.

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