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Sport: Ein kleiner, alter Mann

Wie Zeitzeugen und Opfer des DDR-Dopings Manfred Ewald erlebt haben

Zeitzeugen und Opfer des DDRDopingsystems über Manfred Ewald, den langjährigen Präsidenten des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR, der am Dienstag im Alter von 76 Jahren gestorben ist.

Birgit Boese (frühere Kugelstoßerin und Opfer des DDR-Dopings, Nebenklägerin im Prozess gegen Ewald): „Im Prozess kam es mir so unwirklich vor, dass so ein kleiner Mann so ein menschenverachtendes System forcieren kann. Ich hatte den Eindruck, er betrachtete den Prozess als notwendiges Übel, weil ihm nicht eingefallen ist, wie er ihn hätte vermeiden können. Er hat auch keine Reue demonstriert. Für mich war eine Szene bezeichnend. Wir Opfer, einigermaßen junge Frauen, stiegen mühsam die Treppen hoch, weil wir Folgeschäden haben, aber vor uns lief Ewald wie ein Wiesel die Treppen hoch. Nachdem das in der Zeitung gestanden hatte, schleppte er sich nur noch in den Gerichtsaal.“

Marita Koch-Maier (Olympiasiegerin über 400 Meter, Weltrekordlerin): „Ich habe Manfred Ewald erlebt, als er Delegationsleiter der DDR-Nationalmannschaft war. Er war immer sehr couragiert. Ich denke, er hat zumindest zeitweise einen ganz guten Job gemacht, mit all den Nachteilen, die es natürlich auch gab. Aber ich finde es falsch, ihn nur auf Alkohol und Doping zu reduzieren. Er hat den Sport der DDR auf bestimmte Sportarten konzentriert. Natürlich ging er da mitunter forsch vor, aber manchmal ist das auch notwendig. Man sollte jetzt nicht sagen, dass alles schlecht war, was er gemacht hatte. Und zum Thema Doping: Dass ich, laut Stasi-Akten, die im Buch von Brigitte Berendonk zitiert werden, extrem hohe Doping-Dosen erhalten haben soll, ist falsch.“

Jutta Lau (DDR-Olympiasiegerin im Rudern, erfolgreichste Ruder-Trainerin der Welt): „Manfred Ewald hat der DDR internationale Anerkennung gebracht. Durch gute Leistungen sind wir bekannt geworden. Er hat viel für den Sport getan – das ist unumstritten. In seinem Handeln war er stets sehr konsequent. Gegenüber den Aktiven ist er aber nicht so als harte, durchgreifende Person aufgetreten wie gegen Trainer.“

Klaus Eichler (ab 1988 Nachfolger von Ewald als DTSB-Präsident): „Die Erfolgsbilanz in der DDR sprach für sich. Wer Erfolg hatte, war schwer auszuhebeln. Und Manfred Ewald war einer der erfolgreichsten Sportführer der Welt. Aber es kam zu Zuspitzungen, die nicht notwendig waren.“

Walther Tröger (Präsident des Nationalen Olympischen Komitees der Bundesrepublik Deutschland): „Er war eine widersprüchliche Persönlichkeit. Er war der Vater der Entwicklung der DDR zur sportlichen Großmacht, aber er hatte auch am flächendeckenden Doping mitgewirkt.“

Ines Geipel (Ex-Weltrekordlerin im Sprint, Dopingopfer und Nebenklägerin im Ewald-Prozess): „Im Prozess war er ein Diktator ohne Macht. Seine ganze Aura war weg. Er hatte gar nicht mehr gekämpft. Ewald war nur körperlich anwesend. Ich habe ihn früher erlebt, beim Sportfest in Leipzig zum Beispiel. Ich stand in der Menge der Sportler, da hatte man schon diese Macht gespürt. Ich habe ja auch mitgejubelt, ich war da durchaus indoktriniert. Aber im Prozess habe ich dann nur einen kleinen, alten Mann gesehen. Doch als Ewald dann immer plötzlich zu seinem Auto losrannte, dachte ich, dass er vielleicht doch nicht so abwesend war.“ Tsp

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