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Sport: Ein Skandal als Randnotiz

Der Doping-Prozess gegen den Balco-Chef Victor Conte endet mit milden Strafen – den Athleten blieben Zeugenaussagen erspart

Richterin Susan Illston machte aus ihrem Unmut kein Geheimnis. Sie verurteile jeden Tag Angeklagte mit deutlich geringeren Vergehen zu weit höheren Strafen, sagte die Bundesrichterin in San Francisco drohend, doch blieb sie widerwillig im von der Staatsanwaltschaft mit der Verteidigung ausgehandelten Strafrahmen. Weil der Doping-Mixer Victor Conte bereitwillig gestand, muss er nun vier Monate ins Gefängnis, weitere vier Monate steht er unter Hausarrest. Greg Anderson, Krafttrainer von Stars wie Baseballer Barry Bonds und enger Kollaborateur Contes bei der Entwicklung und Verteilung illegaler Drogen, kam mit jeweils drei Monaten davon. Contes Vize beim Dopinglabor Bay Area Laboratory Co-Operative (Balco) kann sich über Bewährung freuen.

Der Ende 2002 mit einem großen Knall aufgeflogene Dopingskandal endet somit als juristische Randnotiz. Im Gegenzug für ein Geständnis kamen nicht nur Conte & Co. glimpflich davon, auch den amerikanischen Spitzenathleten und Balco-Kunden blieb die Peinlichkeit erspart, unter Eid in den Zeugenstand zu gehen. So hatte der Balco-Chef etwa in einem Fernsehinterview behauptet, er habe Olympiasiegerin Marion Jones dabei geholfen, sich vor den Spielen 2000 in Sydney mit illegalen Spritzen schnell zu machen. Jones bestreitet bis heute, in den Skandal verwickelt zu sein und verklagte Conte wegen Verleumdung. Ihr Lebenspartner Tim Montgomery, einst schnellster Mann über 100 Meter, versucht zwar derzeit, eine Dopingsperre vor dem Sportgerichtshof wegzuklagen, aber in den Zeugenstand musste auch er nicht.

Welche langfristigen Folgen der Balco-Fall für die Sport- und Dopingkultur in den USA haben wird, lässt sich schwer abschätzen. „Enorme Mengen an Geld und Ressourcen sind in diesen Prozess gesteckt worden“, beklagt etwa Gary Wadler, ein führender Anti-Doping-Forscher an der New York University, „aber eine ganze Reihe von hochkarätigen Athleten wird niemals aussagen müssen“. Andere geben sich schon mit dem Diskussionsprozess zufrieden, den der Fall in Gang gesetzt habe. Abgesehen von den 13 Athleten, die im Zuge des Balco-Skandals gesperrt worden seien, sei die Botschaft besonders bei den Eltern angekommen, glaubt der Berater der Anti-Doping-Agentur USADA, Travis Tygart: „Balco hat den Alarm ausgelöst – für den Kongress, für die Eltern und für das ganze Land.“ Nach Anhörungen in Washington, in denen sich vor allem die in Sachen Doping-Bekämpfung hinterwäldlerische Major League Baseball blamierte, debattieren die Politiker derzeit über ein Anti-Doping-Gesetz. Die Anklagebehörden nehmen derweil weitere Labore ins Visier. So hoben sie vor wenigen Tagen in Illinois eine Fabrik aus, die Balco mit dem Designersteroid THG beliefert haben soll.

Dass der Untergrundmarkt für leistungssteigernde Mittel weiter blüht, zeigt auch ein Versuch der „Washington Post“. Die Zeitung bestellte kürzlich im Internet fünf so genannte „Nahrungsmittelzusätze“ für Sportler und ließ sie vom Anti-Doping-Labor in Los Angeles testen – das prompt vier bislang unentdeckte Steroid-Varianten fand. Die nächste Generation von THG sei längst auf dem Markt, schlussfolgerte die Zeitung: „Die Vertreter der Firmen sagen, die laschen Strafen im Balco-Fall hätten dazu geführt, dass sich US-Unternehmen verstärkt mit der Bereitstellung neu entwickelter Designer-Steroide befassen.“

Während Greg Anderson sich nach dem Urteilsspruch zum Weinen auf die Toilette zurückzog, mimte Conte schon wieder den großen Mann. Er verlas vor dem Gericht eine Erklärung, wonach er sein Leben künftig der Trockenlegung des Dopingsumpfs widmen werde. „Es ist an der Zeit, dass die Welt über die Wahrheit hinter dem Hochleistungssport aufgeklärt wird“, verkündete Conte. Fragt sich nur, warum er damit nicht schon im Gerichtssaal begonnen hat.

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