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Sport: Ein Verein will Wurzeln schlagen Türkiyemspor spielt heute gegen den Abstieg

Berlin - Im Café Barbar Aga in Berlin- Neukölln erzählen sie sich Geschichten. Bei Wasserpfeife und Tee wird diskutiert und gefachsimpelt.

Berlin - Im Café Barbar Aga in Berlin- Neukölln erzählen sie sich Geschichten. Bei Wasserpfeife und Tee wird diskutiert und gefachsimpelt. Den Hauptstoff liefert für die türkischen Männer mittleren Alters in diesen Tagen der Fußballverein Türkiyemspor. Der nach Hertha BSC und Union Berlin beste Klub Berlins kämpft gegen den Abstieg. Heute entscheidet sich beim letzten Saisonspiel gegen Altona 93 (13.30 Uhr, Jahnstadion), ob das Team weiter in der Regionalliga Nord spielen darf oder in den Niederungen der Fünftklassigkeit verschwindet.

Einer, der besonders viele Geschichten über Türkiyemspor kennt, ist Fikret Ceylan. An seinem Sakko prangt das Emblem des Vereins, eine Mischung aus türkischer Flagge und Berliner Bär. Was der Manager des Klubs zu erzählen hat, sind keine orientalischen Fußballmärchen. „Türkiyemspor ist der bekannteste Immigrantenklub Europas. Wir tun so viel für diese Stadt, aber wir kriegen nichts zurück“, schimpft er. Seit Jahrzehnten gelte der Verein als Musterbeispiel für Integration und Toleranz im Sport. Und doch fehle es an allem. Der Etat – 800 000 Euro – ist laut Ceylan der kleinste der Liga. Verliert die Mannschaft von Trainer Uwe Erkenbrecher heute, wäre der Abstieg besiegelt und die sportliche Zukunft mit einem Etat von 300 000 Euro eher schlecht.

Dabei hat der vor mehr als 30 Jahren in Kreuzberg gegründete Klub eine imposante Chronik vorzuweisen. Als Anlaufpunkt für junge Migranten stieg er in den Siebzigern und Achtzigern schnell von der Kreisklasse C in die Oberliga auf und spielte sogar mehrmals um den Aufstieg in die Zweite Liga. Bald wurde er auch für deutsche Spieler attraktiv.

Die heutige Mannschaft ist so bunt gemischt wie kaum eine andere in Berlin: Neun Deutsche, acht Türken, zwei Japaner, ein Gambier und ein Tunesier bilden den Kader des ersten Teams, mit den Spielern aus den Jugendmannschaften beherbergt Türkiyemspor insgesamt 25 Nationalitäten. Immer wieder wurde der Klub für seine Integrationsarbeit geehrt, 2007 sogar mit dem DFB-Integrationspreis. Der Klub fühlt sich trotzdem nicht anerkannt, geschweige denn unterstützt.

Der Verein, der vielen Ausländern Halt gegeben hat, sucht selbst nach Identität. Immerhin bekommt die erste Mannschaft jetzt ein festes Trainingsgelände, nachdem sie bisher auf ständig wechselnden Plätzen trainieren musste. Zudem ist dem Klub ein eigenes Gelände am Gleisdreieck zugesagt, doch Linke und Grüne stellten sich auf die Seite der dort ansässigen Kleingärtner, die nicht weichen wollen. Kein Platz, kein Vereinsheim, nichts, wo man Wurzeln schlagen könnte also. Darüber hinaus fehlt es an Investoren, vor allem deutsche Geldgeber werden vergeblich gesucht. „Die Politik schmückt sich gerne mit unserer Arbeit, aber wenn es drauf ankommt, ist keiner da. Ich will gar nicht wissen, was wir mit besseren Bedingungen hätten erreichen können“ sagt Ceylan.

Ähnlich sieht es Trainer Uwe Erkenbrecher, der schon beim VfL Wolfsburg gearbeitet hat und von dort professionellere Bedingungen gewohnt ist. Bei Türkiyemspor hat er nicht einmal einen Kotrainer. Immerhin hat die Mannschaft vier der letzten fünf Spiele gewonnen. Defensiv ist das Team gut aufgestellt, vorne fehlt jedoch ein Torjäger. „Wir dürfen nicht das 0:1 kriegen, dann haben wir oft Probleme“, sagt Erkenbrecher. Für den Klassenerhalt muss ein Sieg gegen die bereits abgestiegen Hamburger aus Altona her. Dann stünden die Chancen gut: Nur einer der vier Mitkonkurrenten müsste verlieren, damit Türkiyemspor in der Liga bleibt. „Wenn wir die Klasse erhalten, wäre das eine weitere Geschichte für Türkiyemspor“, sagt Manager Ceylan. Und schön zum Erzählen ebenfalls.

Lorenz Vossen

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