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Am Boden. Dortmunds Innenverteidiger Neven Subotic (lins) verletzte sich gegen den VfL Wolfsburg schwer.

© dpa

Eine Woche voller Niederlagen: Borussia Dortmund in der Identitätskrise

Borussia Dortmund schwächelt, weil das Team fehlenden Einsatz und sinkende Leidenschaft mit Eleganz kompensieren will. Doch dafür reicht das Talent der Mannschaft nicht aus.

Zum Schluss noch mal ein letzter Sprint. Dorthin, wo die Spiele zwar nicht entschieden, aber entscheidend aufbereitet werden. Weit weg von den Mikrofonen, vor denen später alles weichgespült wird. Jürgen Klopp zog also einen letzten Sprint an zum Mittelkreis, mit beiden Armen riss er Robert Lewandowski weg und baute sich auf vor Schiedsrichter Dr. Jochen Drees. Einen Schritt nach links, einen nach rechts, Drees wich ein Stück zurück und durfte sich dann noch einiges anhören. Was zunächst nach einem neuen Fall fürs Sportgericht aussah, redete der Trainer von Borussia Dortmund später als seinen Beitrag zur friedlichen Koexistenz klein. „Ich wollte ihm die Hand geben, und das hat ihn wohl erschreckt, denn ich sehe nun mal so aus, wie ich aussehe.“

Der Fußballlehrer Jürgen Klopp verfügt, neben vielem anderen, auch über die natürliche Gabe, nach verlorenen Spielen Verantwortung zu delegieren und alle anderen wie Trottel aussehen zu lassen. Er hat Jochen Drees am Samstagnachmittag nicht explizit verantwortlich gemacht für die 1:2-Niederlage beim VfL Wolfsburg, diesen zweiten Rückschlag innerhalb von drei Tagen nach dem 0:1 in der Champions League gegen den FC Arsenal. Klopps Zuweisung von Verantwortung fiel subtiler aus und in der Betonung sehr gedehnt und akademisch. „Doktor Dreeeeeees...“ Kurze Pause. Es folgen ein paar Anekdoten über frühere Begegnungen, den Rest nuschelte Klopp in seinen Bart. Und was nun den Anteil des Schiedsrichters an der zweiten Dortmunder Niederlage in dieser Bundesligasaison betrifft: „Wenn es zwei so knappe Szenen im Strafraum gibt, kann man bei einer ruhig Elfmeter geben.“ Bei der zweiten der beiden Attacken des Wolfsburgers Ricardo Rodriguez gegen Lewandowski hätte Drees vielleicht tatsächlich auf Elfmeter entscheiden können, aber zwingend war das keineswegs.

Die leidige Elfmeter-Debatte lenkte ab vom eigentlichen Problem, es dürfte im Dortmunder Kreis ein wenig ausführlicher diskutiert werden, als Klopp das nach dem Spiel tun wollte. Das reduziert sich nicht auf verweigerte Elfmeter oder Verletzungspech, es bescherte dem Innenverteidiger Neven Subotic am Sonnabend einen Kreuzbandriss und damit das Saisonende. Auch mit der jüngsten Ergebniskrise kann Dortmund leben. In der Champions League ist das Achtelfinale nach wie vor in Reichweite, und bei einem Sieg im Bundesligaspitzenspiel in zwei Wochen gegen die Bayern würde deren Vorsprung auch nur noch einen Punkt betragen.

Das wahre Problem ist: Borussia Dortmund ist im Herbst nicht mehr die Mannschaft, die sie im Frühling einmal war.

Borussia Dortmund verfügt nicht über das Talent, wie es den FC Bayern auszeichnet. Diese Mannschaft funktioniert über Gier und Leidenschaft, über das atemberaubende Pressing, mit dem sie die Bayern im Mai im Champions-League-Finale über den Rasen jagten. Im Frühling war die Borussia ein grandioser Verlierer, im Herbst nun will sie ein eleganter Gewinner sein. Eine Mannschaft, die den Gegner beherrscht, ohne dass sie alles investieren muss. Die Dortmunder laufen immer noch viel, aber längst nicht alle mit so viel Verve wie ihr Trainer nach dem Schlusspfiff. In Wolfsburg war wenig zu sehen von Gier und Leidenschaft.

Das lag nicht nur an den Anstrengungen der vergangenen Woche, die laut Klopp „kein Kindergeburtstag war“. Die Ursachen dieser Novemberdepression liegen tiefer. Da kam kein Druck von den Außenpositionen, weder von Kevin Großkreuz noch von Marcel Schmelzer. Henrich Mchitarjan mag ein großartiger Fußballspieler sein, aber er wirkt immer ein wenig melancholisch und ist keine Alternative zum derzeit verletzten Balldieb Ilkay Gündogan. Befremdend war es, mit welcher Nonchalance Marco Reus einfache Bälle verschluderte. Dass seine beiden Freistöße – einer in den Winkel, der andere ans Lattenkreuz – die einzigen richtigen gefährlichen Torszenen waren, sagt genug über die Identitätskrise, in der diese Mannschaft gerade steckt.

Jürgen Klopp steht für einen anderen Fußball, und weil er mit offenen Augen durch die Welt geht und für seine offenen Worte bekannt ist, wird seine Mannschaft noch einiges zu hören bekommen. In Wolfsburg war es ihm so unrecht nicht, dass er über „die schreckliche Nachricht“ von Subotics Verletzung reden konnte und über strittige Schiedsrichterpfiffe: „Viele Menschen, die am Boden lagen, viele Freistöße...“ Sein Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke formulierte die Dortmunder Befindlichkeit ein wenig drastischer. „Heute Abend fühlt es sich erst mal scheiße an!“

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