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Sport: Eintauchen in die zweite Heimat

Britta Heidemann über den Reiz, gerade in Peking um Gold zu kämpfen

Olympische Spiele ausgerechnet in Peking, diese Kombination hat für mich eine ganz besondere Bedeutung. Dass ich überhaupt die Qualifikation für Peking geschafft habe, freut mich schon gewaltig, weil mein Saisonstart nicht besonders gut verlaufen ist. Damals konnte ich ja nicht ahnen, dass ich im Oktober Fecht-Weltmeisterin mit dem Degen werde. Aber dass ich dann auch noch in Chinas Hauptstadt um Medaillen kämpfen darf, das macht die Freude perfekt. Denn zu China habe ich eine ganz besondere, eine emotionale Beziehung. Ich war schon als 15-Jährige Austauschschülerin in Peking, ich studiere in Köln Chinesisch mit Schwerpunkt Betriebswirtschaft. Und ich war fast ein Dutzend Mal in diesem riesigen Land. Ich würde eine große Chance vergeben, wenn ich nach dem Studium nicht noch rund ein Jahr in China arbeiten würde.

Mein Bild von China besteht aus vielen Facetten. Da sind zum einen die Menschen auf dem Land, die noch nach Traditionen leben und ihre eigenen Regeln pflegen. Diese Menschen liegen mir besonders am Herzen, sie verkörpern für mich das klassische China. Ich liebe es, mich mit diesen Menschen zu unterhalten und mit ihnen zu essen. Ihre Ansichten und Erzählungen beeindrucken mich immer wieder.

Aber es gibt auch das neue, das dynamische, das moderne China. Zu sehen ist es vor allem in den Großstädten. Symbole dieses China sind riesige Baukräne, neue Hotels, Diskotheken, Bars und Clubs. Manchmal hatte ich nach der Landung in Peking das Gefühl, ich steige in Frankfurt am Main aus. Man sollte sich allerdings von dem Schein nicht blenden lassen. Viele Chinesen können diesem rasanten Tempo der Veränderungen nicht so schnell folgen. Ich habe Einkaufszentren gesehen, die zwar voll mit Menschen waren, aber die haben eher gestaunt als eingekauft.

In China brechen durch die rasante Entwicklung jahrhundertalte Strukturen auf, teilweise werden sie sogar regelrecht zerstört. Die vielen Wanderarbeiter, die vom Land in die Städte strömen, verdienen zwar mehr Geld als früher, aber sie müssen dafür ihre Familien auf dem Land zurücklassen, die eigentlich auf ihre Hilfe angewiesen sind. Auf dem Land versorgen traditionell die Jüngeren die Älteren. Jetzt ist nicht bloß die materielle Versorgung der Senioren beeinträchtigt, die müssen sich auch noch um ihre Enkel kümmern, die ohne Eltern dastehen. Die Millionen Wanderarbeiter sind ein Riesenthema in China.

Aber auch das soziale Netz in den Städten bekommt Löcher. Früher haben staatliche Betriebe zugleich die soziale Absicherung der Arbeiter und Angestellten übernommen; seit aber immer mehr Unternehmen privatisiert werden, fällt dieser Schutz zunehmend weg. Das ist ein ganz heikler Punkt.

Sicher, die radikalen Veränderungen betreffen nicht alle Teile des Landes, aber wo modernisiert wird, sind diese Veränderungen heftig zu spüren. Mein früherer Schulweg, auf dem ich mit dem Rad fuhr, ist jetzt bebaut mit einer McDonalds-Filiale und anderen Gebäuden, die Bäume sind weg.

Wenn ich mal an mich und meinen Sport denke, wünsche ich mir für 2008, dass ich Studium und Fechten weiter gut verbinden kann. Selbstverständlich hoffe ich, dass ich in Peking mit einer Medaille glänzen kann. Durch den WM-Titel steigen zwar die Erwartungen dahingehend, aber davon lasse ich mich nicht beeinflussen. Ich hoffe nur, dass ich es schaffe, die Medien vernünftig zu bedienen und trotzdem eine optimale Vorbereitung zu absolvieren. Und natürlich habe ich auch den leisen Wunsch, dass ich noch einen persönlichen Sponsor finde.

Aufgezeichnet von Frank Bachner

Britta Heidemann, 25, ist 2007 Einzel- Weltmeisterin im

Fechten mit dem Degen geworden. Zudem wurde sie 2004

Olympiazweite mit der Mannschaft. Sie

studiert Chinesisch.

Britta Heidemann

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