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Sport: Eiskalter Selbstschutz

Bayer Leverkusens Manager Reiner Calmund steht wieder voller Herzschmerz vor einer Trainerentlassung

Von

Helmut Schümann

Leverkusen. Man kann natürlich fest daran glauben, dass Reiner Calmund ein durchtriebener Hund ist, ’ne fiese Möpp’, wie er es selber ausdrücken würde mit rheinischer Zunge. Wie er sich umtreibt in diesen für Bayer Leverkusen so arg schweren Wochen und vor jeder Kamera und in jedes Mikrofon propagiert, dass man in seinem Verein sauber und ehrlich und trickfrei die leidige Trainerfrage behandele - und wie er dann gleichzeitig mit sehr kleinen und sehr bösen Sätzen den Trainer Klaus Toppmöller demontiert. „Der würde weich fallen“, ist so ein Satz, der spekuliert schon mal mit der Ablösung des Coaches, mit der dann auszuzahlenden Abfindung und entzieht etwaigem Mitleid vorab die Grundlage. Tricky und unsauber wirkt das und so gar nicht ehrlich.

Am Samstag kommt Hansa Rostock an den Rhein, und dann wird sich Klaus Toppmöller, der Erfolgstrainer des vergangenen Jahres, wieder beweisen müssen – vor allem vor Manager Reiner Calmund. Wenn es ihm gelingt, wird er in der Woche darauf wieder auf dem Prüfstand stehen. Und wieder und wieder und am Ende, wenn es denn dann ein Ende gibt, wird der Manager wie immer in solchen Fällen mit Tremolo in der Stimme und Tränen in den Augen den traurigen, notwendigen Abschied verlesen. Das war bei Berti Vogts so, Toppmöllers Vorgänger, bei Christoph Daum, den Vogts beerbte, und bei Erich Ribbeck, der sich vor Daum in Leverkusen versuchte, war es nicht anders.

Calmund ist ja so etwas wie das folkloristische Gewissen der Fußball-Bundesliga, der gemütliche Dicke mit dem Herz auf der Zunge und der Ausdrucksweise wie du und ich. Der Gemütsmann, der sich bar jeden Modeinstinkts mit Pudelmütze und Grunge-Bärtchen der Lächerlichkeit preisgibt und geradezu kindlich, mitunter kindisch, sein Herzblut für Bayer Leverkusen hergibt. Der Mann hat allerdings bislang neun Trainer in 15 Jahren durch den Verein geschleust, Toppmöller wäre der zehnte. Eine gewaltige Strecke, in der sich Calmund auch als eiskalter Pragmatiker widerspiegelt, als einer, der lieber feuert als in Selbstzweifel zu versinken. „Jeder macht Fehler“, hat er übers eigene Wirken geurteilt. Aber das ist auch so ein Satz, der ein bisschen ehrlich wirkt und ein bisschen banal, auf jeden Fall folgenlos war für ihn.

Aber vielleicht wird man Reiner Calmund doch nicht gerecht, wenn man ihn allein an den Eckdaten seiner Laufbahn misst, auch jetzt nicht, wo Bayer Leverkusen in Abstiegsängsten bibbert und wieder eine so beglückend gestartete Manager/Trainer-Liaison zu scheitern droht. Der Mann ist Fußball, mit Haut und Resthaar. Der war Fußballer bei Frechen 20, einer kleinen Stadt bei Köln, dann Trainer, Jugendwart, Geschäftsführer des Fußball-Kreises, Lokalsportredakteur und ab 1976 bei Bayer Leverkusen Stadionsprecher und Jugendleiter und ab 1988 Manager. Wie er entdeckt wurde für das Spiel und den Verein, das erklärt womöglich deutlicher, warum einer überbordet. Das Verdienst kommt Willibald Kremer zu, einem Trainer mit Meriten im soliden Bereich, dem am Rande eines unbedeutenden Jugendspiels in der Sportschule Hennef ein Zuschauer auffiel. Es stürmte und goss wie aus Kübeln, und wer bei so einem Sauwetter Jugendlichen beim Kicken zuschaut, muss verloren sein fürs Leben, weil er sein Leben schon dem Fußball geschenkt hat. Der Zuschauer war Reiner Calmund. Er hat das selber ja auch oft eingeräumt, dass er zu 95 Prozent für den Fußball lebt, für Bayer Leverkusen, und die restlichen fünf Prozent nicht frei ist für die Familie, darüber sind zwei Ehen zerbrochen. Der Verein, der Verein hat immer recht für so einen. Und wenn schon Ehen den Schwur nicht überleben, wie sollen dann Freundschaften halten mit Trainern, wenn es dem kompletten Verein schlecht geht?

In der vergangenen Saison hatten sie in Leverkusen stets Nitro-Spray griffbereit, um sofort helfen zu können, falls Reiner Calmunds Herz aussetzen sollte, weil die Gefahr groß war, dass es zerspringt vor Freude oder zerbricht am Schmerz. Gesundheitlich ist es gut ausgegangen, sportlich nicht ganz so glücklich. Aber man konnte sich denken, was er mit Toppmöller gemacht hätte, wenn er Calmunds existentiellsten Traum, den von der Meisterschaft, erfüllt hätte: Er hätte ihn wohl totgedrückt vor Glück. Jetzt muss er ihn bald wegdrücken. Vielleicht dienen die kleinen Sticheleien dazu, den Trennungsschmerz erträglich zu gestalten. Dann wäre, was wie die eiskalte Berechnung eines fiesen Möpps aussieht, nur der Selbstschutz eines überschäumenden Vereinspatrioten.

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