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Eisschnelllauf: Gene zeigen

Der Fall Pechstein belegt, dass der Sport auch vor persönlichsten Informationen nicht Halt macht – eine Analyse.

In die Tasche eines Spitzensportlers scheint von jetzt an ein genetisches Gutachten zu gehören. Mit allen Besonderheiten, die der eigene Körper aufweist. Ob er mehr Hormone produziert als der Durchschnitt, zum Beispiel mehr Epo, und damit von Natur aus eine längere Puste hat als seine Konkurrenten. Dieses Gutachten könnte der Sportler den Dopingjägern unter die Nase halten, wenn sie glauben, ihm etwas nachweisen zu können. So wie es jetzt Claudia Pechstein getan hat. Gut möglich, dass der Internationale Sportgerichtshof Cas sich mit dem Urteil in ihrem Fall auch deshalb so viel Zeit nimmt. Die Eisschnellläuferin versucht schließlich, ihre Unschuld mit Veränderungen ihres Epo-Gens zu belegen. Die Dopingbekämpfung ist nun endgültig im Innersten des Menschen angekommen. Bei den Genen, bei den Erbinformationen, die den Menschen in seiner Individualität ausmachen.

Die Frage ist, wie dies den Sport verändert. Und ob der Sport damit nicht eine Grenze überschritten hat. Schon beim finnischen Skilangläufer Eero Mäntyranta, in den 60er Jahren drei Mal Olympiasieger, war eine genetische Anomalie als Erklärung für seine Ausdauer entdeckt worden. Wenn Pechstein wirklich nicht gedopt hat, ist ein genetisches Gutachten vielleicht ihre einzige Chance, um sich zu wehren. Sie ist angewiesen darauf, nachdem sie von der Internationalen Eislauf-Union wegen verdächtiger Blutwerte gesperrt worden war.

Der Sport schien schon kompliziert genug zu sein und die Privatsphäre der Athleten weit ausgeleuchtet zu haben. Jeden Tag müssen sich die Athleten eine Stunde für die Kontrolleure bereithalten. Überhaupt mutet die Dopingbekämpfung den Sportlern immer mehr zu. Der Sport nimmt dabei eine ähnliche Entwicklung wie andere gesellschaftliche Bereiche. Arbeitgeber würden gerne vor der Einstellung das Blut ihrer künftigen Angestellten untersuchen lassen, Versicherungen genetische Informationen ihrer Kunden erfragen, um sie besser in Risikogruppen einstufen zu können.

Auch im Sport ist es ein schleichender Prozess. Angefangen hat die Dopingbekämpfung mit Urinproben. Bekannt vom Besuch beim Hausarzt. Seitdem jedoch Betrugsversuche bei der Urinabgabe aufgeflogen sind, eilig vorher angebrachte Schläuche mit fremdem Urin oder eingeführte Vaginalsäckchen, schauen sich die Kontrolleure den Intimbereich der Athleten genau an. Beim Wasserlassen im Dienste der Fairness ist es nicht geblieben. Viele Substanzen sind schließlich nicht im Urin zu finden, ständig werden neue Dopingmittel eingesetzt. Also ging es den Athleten ans Blut. Inzwischen werden ganze Blutprofile angelegt. Wenn ein Athlet an einem professionellen Radrennen oder einer internationalen Leichtathletik-Meisterschaft teilnehmen will, heißt es: die Blutpässe bitte!

Aber selbst das Blutbild ist nicht das vollständige Abbild des Menschen. Und so geht es noch tiefer hinein. Bis zu den Genen. Es ist dabei noch völlig unklar, wie häufig genetische Anomalien Ursache für positive Dopingtests sein könnten. Die absolute Ausnahme – oder die Regel?

Im Fall Pechstein ist die Frage aufgetaucht, ob sie nicht einen Vorteil durch ihre Anomalie besitzt. Kann sie länger auf dem Eis durchhalten? Die Frage liegt nahe, aber sie ist zugleich vollkommen unerheblich. Denn was anderes als ein genetischer Vorteil sind zehn Zentimeter längere Arme beim Basketball? Oder eine größere Lunge? Es geht um Chancengleichheit, das ja, aber auf etwas andere Weise.

Wenn es nicht so zynisch klänge, könnte man sagen: Gut, dass es Pechstein getroffen hat. Eine Athletin, die im Laufe ihrer Karriere genügend Prämien und Sponsorengeld eingesammelt hat, um sich eine aufwändige Verteidigung leisten zu können. Eine Athletin aus einem Land, in dem molekular-genetische Gutachten aufgrund medizinischer Kapazitäten zügig angefertigt werden. Was wäre nur passiert, wenn eine Athletin aus einem Entwicklungsland wegen verdächtiger Blutwerte gesperrt worden wäre?

In einem genetischen Gutachten können viele Dinge herausgefunden werden. Zum Beispiel auch, ob mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eine Krebskrankheit ausbrechen wird. Diese Informationen aus der Entschlüsselung des Genoms bieten Chancen. Weil in bestimmten Fällen Vorsorgemaßnahmen ergriffen werden können. Sie bergen aber auch Risiken. Eine Krankheit muss eben nicht ausbrechen, aber welcher Mensch lebt gerne in dem Bewusstsein, dass in ihm eine unheilbare Krankheit schlummert? Ohne seinen ausdrücklichen Wunsch können solche Informationen einem Menschen nicht zugemutet werden. Und doch besteht die Gefahr, dass sie in der Dopingbekämpfung ans Licht kommen, wenn ein Arzt sich seiner Verantwortung nicht bewusst ist oder der Datenschutz verletzt wird.

Der Sport ist schon ziemlich weit gegangen, bis ins Innerste, Persönlichste. Den Preis dafür zahlen die Athleten.

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