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© dpa

EM-Helden (9 und Schluss): Fredi Bobic: "Bei der EM 2004 hatten wir Angst"

Meine EM - in unserer Serie erinnern sich deutsche Nationalspieler an ihre besonderen Turnier-Momente. Heute die neunte und letzte Folge: Fredi Bobic über den fehlenden Zusammenhalt im Team 2004 und einen Grottenkick in seinem letzten Länderspiel.

Gewusst haben wir es nicht, aber geahnt. Nach unserem EM-Aus saßen wir mit einigen Spielern im Mannschaftshotel zusammen, haben noch ein paar Bierchen getrunken und über alles Mögliche geredet. In einer anderen Ecke hockte Rudi Völler mit einigen Funktionären vom DFB, Reiner Calmund war auch dabei. Mein Gefühl hat mir schon gesagt, dass die Zeit von Rudi Völler als Teamchef zu Ende geht. Am nächsten Morgen hat er dann die Mannschaft informiert.

Eine Überraschung war sein Rücktritt sicher nicht. Man konnte Rudi Völler richtig ansehen, dass es für ihn eine Befreiung war. Schon während des Turniers hat er eine gewisse Müdigkeit ausgestrahlt. Er wurde damals hart kritisiert, alle möglichen Experten meldeten sich mit klugen Ratschlägen zu Wort. Rudi Völler hatte ein starkes Herz, einen großartigen Charakter, und er hat sich lange zur Wehr gesetzt, irgendwann aber konnte oder wollte er einfach nicht mehr.

Als Spieler habe ich an zwei Europameisterschaften teilgenommen und dabei beide Extreme erlebt: den großen Triumph 1996 mit dem Titelgewinn in England und die totale Enttäuschung 2004. In Portugal hat einiges nicht gestimmt, angefangen mit unserem Quartier an der Algarve: schön ruhig, aber auch weit vom Schuss. Das spezielle EM-Gefühl ist dort nie aufgekommen. Und auch die Euphorie, die wir gebraucht hätten, hat sich nicht eingestellt. Die Mannschaft war individuell nicht so stark, dass sie zwingend zu den Favoriten gehörte. Nach der erfolgreichen WM 2002 hatte sie sich spielerisch nicht unbedingt weiterentwickelt.

Im Team herrschte eine gewisse Verunsicherung: Wir wussten nicht, wo wir stehen. Das Team befand sich in Bewegung, einige junge Spieler waren hinzugekommen: Es gab einen kleinen Bruch, der nicht offensichtlich war, die Harmonie aber zumindest nicht gefördert hat. Der große Zusammenhalt, der uns 1996 ausgezeichnet hat, war nicht vorhanden. Das hat man auch im Hotel gemerkt. Die Älteren hockten häufiger zusammen, die Jüngeren spielten Playstation. Als ich 1996 zu den Jungen gehörte, habe ich es ungemein genossen, mich mit erfahrenen Spielern auszutauschen und von ihnen zu lernen. In England hatten wir eine starke Gemeinschaft mit großem gegenseitigem Respekt. Den habe ich 2004 nicht hundertprozentig gespürt.

Die jungen Spieler wurden damals von den Medien extrem protegiert, über uns Ältere hieß es: „Mit denen reißt du eh nichts mehr.“ Unsere Stellung hat das nicht gerade gestärkt. Wenn dir als junger Spieler ständig ins Ohr geflüstert wird: Die anderen sind nicht wichtig, du bist die Zukunft, glaubst du das irgendwann selbst.

Dabei hat Rudi Völler sogar versucht, das Thema sehr defensiv zu handhaben. Aber nach unserem Auftaktspiel, dem 1:1 gegen Holland, ging es erst richtig los: Ihr müsst jetzt den Schweinsteiger bringen, ihr müsst jetzt den Podolski bringen. Vor dem entscheidenden Spiel gegen Tschechien war das nicht anders. Ich bin mir sicher, es war nicht Völlers Überzeugung, Schweinsteiger von Anfang an spielen zu lassen. Aber irgendwann sagst du wahrscheinlich als Trainer: Okay, jetzt geb ich dem Volk, was es will. Das war schon skurril.

Podolski und Schweinsteiger waren damals schon zwei Popstars. Trotzdem: In der Mannschaft haben sie sich immer korrekt verhalten. Nur wenn Basti auf dem Trainingsplatz wieder ein paar Haken zu viel geschlagen hat, konnte es schon mal passieren, dass er von Jens Jeremies weggenagelt wurde. Im Fußball sind das normale Selbstreinigungsprozesse. Als junger Spieler musst du auch mal Schmerzen ertragen – damit du kapierst, worauf es im Spiel ankommt.

Kevin Kuranyi war damals auch noch ein junger Bursche, der oft verkrampft ins Spiel gegangen ist und damit überfordert war, ein Leader zu sein. Trotzdem musste er gegen Holland alleine vorne im Sturm spielen. Überhaupt habe ich es für einen Fehler gehalten, dass Rudi Völler bei der EM sein System umgestellt hat. In der ganzen Qualifikation haben wir mit zwei Stürmern gespielt, bei der EM nur noch mit einem. Unser letztes Vorbereitungsspiel gegen Ungarn hat dabei eine wichtige Rolle gespielt. Normalerweise nimmst du dir für den letzten Test einen Gegner, gegen den du dich noch ein bisschen einschießen kannst. Aber die Ungarn mit Lothar Matthäus als Trainer waren unheimlich motiviert und haben durch zwei Kontertore 2:0 gewonnen. Für uns war das wie ein Schock. Plötzlich haben wir Angst bekommen. Beim Turnierauftakt gegen die Holländer waren wir viel zu ängstlich aufgestellt. Im zweiten Spiel gegen die extrem defensiven Letten hat Rudi Völler immerhin zwei Stürmer aufgeboten, aber gegen deren destruktives Spiel konnten wir keine Fantasie entwickeln. Uns hat ein Tor gefehlt, aber wenn man ehrlich ist, hatten wir auch keins verdient.

Nach dem Spiel ist die Stimmung noch negativer geworden. Die Älteren, vor allem Didi Hamann und ich, wurden von den Medien als Sündenböcke hingestellt. Wir hätten bei der EM überhaupt nichts zu suchen. Gegen Tschechien saß ich wieder auf der Bank, und obwohl wir gewinnen mussten, um weiterzukommen, bot Völler nur einen Stürmer auf – gegen eine B-Mannschaft. Ich war enttäuscht, dass ich nicht wenigstens eingewechselt wurde, denn in der Schlussphase flogen plötzlich Bälle ohne Ende in den tschechischen Strafraum. Das wäre genau mein Spiel gewesen. Ich weiß noch, dass Bernd Schneider zwei große Kopfballchancen vergeben hat. Wir verloren 1:2 und schieden aus. Das 0:0 gegen Lettland blieb mein letztes Länderspiel. So endete meine Karriere in der Nationalmannschaft, wie sie 1994 beim 0:0 in Ungarn angefangen hatte: mit einem Grottenkick.

Aufgezeichnet von Stefan Hermanns.

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