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Nadine Angerer beim Empfang auf dem Frankfurter Römer.

© dpa

EM-Torhüterin Nadine Angerer: Das Gesicht der Mannschaft

Deutschlands Nationaltorhüterin Nadine Angerer erlebt mit dem Titelgewinn bei der Fußball-Europameisterschaft einen weiteren Karrierehöhepunkt. Doch "Natze", wie ihre Mitspielerinnen sie nennen, will noch mehr.

Rostig war es und heruntergekommen. Das alte Feuerwehrauto hatte seine besten Zeiten längst hinter sich. Nur eine Frage der Zeit, ehe es auf dem Schrottplatz landen würde. Dann sah Nadine Angerer das Gefährt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Sie kaufte das Auto, ließ es reparieren und fuhr damit anschließend täglich durch die Gegend. Bei Turbine Potsdam, Angerers damaligem Verein, wussten sie zuerst oft nicht, ob irgendwo in der Nähe ein Feuer ausgebrochen war oder ob die eigene Torhüterin zum Training kommt.

Bernd Schröder muss immer noch lachen, wenn er an diese Zeit zurückdenkt. Von 2001 bis 2007 war er Angerers Trainer bei Turbine. Schröder sagt über sie: „Nadine hat einen sehr eigenwilligen Charakter, sie ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit, weil sie Dinge oft anders sieht und bewertet als die meisten Menschen.“ Er versteht das als Lob.

Nadine Angerer ist nicht nur eine außergewöhnliche Persönlichkeit, sie ist auch eine außergewöhnliche Torhüterin. Im Finale der Europameisterschaft hielt sie am Sonntag zwei Elfmeter der Norwegerinnen, Deutschland siegte 1:0. Von ihren Mitspielerinnen wurde die Spielführerin anschließend überschwänglich gefeiert. Als die 34-Jährige auf der Pressekonferenz gerade über das Innenleben der Mannschaft berichten sollte, stürmten einige Spielerinnen den Saal. „Hey Natze, Hey Natze“, skandierten sie. Angerers Kommentar: „Der Kindergarten hat Ausgang.“

Später am Abend soll es noch ausgelassener zugegangen sein. Nach einer Ansprache von Wolfgang Niersbach tanzten die Nationalspielerinnen bis in die frühen Morgenstunden. Niersbachs Rede dürfte die Stimmung noch gehoben haben, der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes sprach unter anderem auch die Siegprämie an. 22.500 Euro erhalten die Spielerinnen jeweils – was allerdings rund zehnmal weniger ist, als das, was die Männer bei einem ähnlichen Erfolg kassieren würden.

Die lange Partynacht war den meisten Spielerinnen nach der Landung am Frankfurter Flughafen anzusehen. Spätestens beim Empfang im Rathaus war dann aber alle Müdigkeit vergessen. Mit Nadine Angerer vorweg, laut singend und mit eigener Choreografie, enterte die Mannschaft den Rathaussaal. Als der Kapitänin auf dem Balkon schließlich das Mikro gereicht wurde, strahlte Angerer über beide Ohren. „Laganda, das schwedische Wort für Teamgeist, das haben wir in den letzten Wochen als Mannschaft gelebt.“

Die Verletzung ihrer Konkurrentin Silke Rottenberg war der Startschuss

Die internationale Presse hatte die 34-jährige Spielführerin als Garantin für den deutschen Sieg ausgemacht. „Die deutschen Fußballfrauen verdanken den sechsten europäischen Titel in Folge vor allem Nadine Angerer“, fand „De Telegraaf“ aus den Niederlanden. Die spanische Sportzeitung „El Mundo Deportivo“ schrieb: „Angerer, die Heldin des deutschen Triumphes.“

So ähnlich lauteten die Schlagzeilen schon einmal. Vor sechs Jahren spielte Angerer bei der Weltmeisterschaft in China das Turnier ihres Lebens. Brasiliens Weltfußballerin Marta konnte die deutsche Torhüterin im Finale nicht einmal per Elfmeter bezwingen. Angerer brachte das Kunststück fertig, im gesamten Turnier keinen Gegentreffer zu kassieren – das war zuvor noch niemandem gelungen. Egal was die gegnerischen Angreiferinnen auch versuchten, Angerer war da. Die Paraden auf dem Feld bereiteten ihr keine Mühe, außerhalb des Platzes aber begann sich die Welt der Nadine Angerer rasant zu verändern.

Vor der WM war sie nur aufgrund einer Verletzung von Stammtorhüterin Silke Rottenberg in die Anfangsformation gerückt, über Nacht sollte sie nach dem WM-Triumph nun das Gesicht ihrer Sportart verkörpern. Es folgten Fernsehauftritte und Interviews. Mehrere Wochen ging das so.

Bernd Schröder erinnert sich an ein Spiel in Essen, vor dem Angerer wegen eines Auftritts im „Aktuellen Sportstudio“ erst spät abends ins Hotel zurückgekehrt war. „Nadine sah kaputt aus. Sie hat dann das erste Gegentor seit der WM bekommen und überall wimmelte es von Reportern, die diesen Moment unbedingt abbilden wollten.“ Es war die Zeit, in der Angerer ihre WM-Form einbüßte und sie bis zur EM 2013 nicht mehr wiederfinden sollte. Verletzungen spielten dabei eine Rolle. Angerer selbst schien nicht mehr so fokussiert wie früher zu sein. Das änderte sich im Winter. Vor der EM gab es ein längeres Gespräch mit Bundestrainerin Neid. Mit Folgen. In Schweden wirkte sie so fit wie seit sechs Jahren nicht mehr.

Diese Form will sie möglichst noch zwei Jahre halten. Angerer wird in den kommenden Wochen Australien bereisen, ehe sie dann ab September für Brisbane in der australischen Liga spielt. 2014 will sie ihre Karriere in den USA fortsetzen und anschließend das Land erkunden. Ein altes Auto wird sie dort dafür sicher auch finden.

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