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Gefühle breiten sich aus. Nicht nur auf dem Tafelberg vor Kapstadt, auch weltweit werden schwarz-rot-goldene Fahnen ausgerollt; nicht nur von Deutschen. Foto: dpa

© dpa

Sport: Endlich geliebt

Jahrzehntelang wurde die deutsche Elf im Ausland wegen ihrer Spielweise im besten Fall respektiert, meistens verachtet. Seit dieser WM ist alles anders – obwohl oder gerade weil sie den Titel verpasste. Eine Gefühlslandkarte von Spanien bis China

Arrigo Sacchi, einer der wenigen Ästheten auf italienischen Trainerbänken, drückte es einmal ganz drastisch aus: Die Deutschen hätten seinen Glauben an den schönen Fußball zerstört, als sie 1954 die Ungarn und 1974 die Niederländer schlugen. Deutschland galt stets als Team, das trotzdem gewann – und das deshalb im Ausland niemand mochte. Mit dieser WM hat sich alles geändert: Von England bis Südafrika, von Italien bis China, von Spanien bis in die USA – das deutsche Team wird geliebt. Obwohl oder gerade weil es am Titel scheiterte. Denn die Deutschen spielen schönen Fußball und treten so ganz anders auf, als man es kannte.

ITALIEN

Junges Deutschland, sexy Deutschland, multi-ethnisches Deutschland – in Italien ist man vom Auftritt der deutschen Nationalmannschaft hingerissen. Medien und Bevölkerung loben nicht nur Özils Trickreichtum, Müllers coole Klasse, Lahms Führungsqualitäten und die offensichtliche Freude am Zusammensein, die diese Mannschaft ausstrahlt. Voller Verwunderung reibt man sich die Augen über die neuen Sekundärtugenden dieser Teutonen 2.0. „Sie sind fröhlich. Sie gucken lieber ,Inglourious Basterds’ als ,Terminator’. Sie hören Bushido und sind selber DJs“, schwärmt die Turiner Zeitung „La Stampa“. Sie stellt fest: „Das sind nicht mehr die alten ,Panzer’.“

Die Korrespondenten des „Corriere dello Sport“ wenden sich gleich ganz den weichen Faktoren zu. „Die deutschen Fans sind die attraktivsten“, meinen sie und stellen eine ganze Flut von Fotos mit tanzenden jungen blonden Frauen in schwarz-rot-goldenen Bikinis ins Netz. Ernsthaftere Analysten in den Sportbars führen den Aufschwung auf das deutsche Nachwuchsprogramm zurück. „Sie haben Einwandererkinder wie Gomez, Khedira, Tasci, Özil und Boateng fußballerisch geformt“, sagt der bekennende Juve-Tifoso Sandro, der selbst unter spät eingebürgerten Brasilianern zweiter Klasse in seinem Klub leidet. Mancher sieht gar eine neue Ära angebrochen: „Die, die wir jetzt in Südafrika sehen, sind nur die erste Welle!“ tom

USA

Kraft, Disziplin, Effizienz – diese Tugenden haben auch Amerikaner stets an den Deutschen bewundert, ob es um Autos, Maschinenbau oder Fußball geht. Die neuen Lobeshymnen haben einen neuen Zungenschlag. „Youngsters“ und „German Kids“ nennen die US-Zeitungen die deutschen Spieler liebevoll. Da klingt Zuneigung mit und nicht nur Respekt wie früher. „Das deutsche Team gehört wieder zu den weltweit besten, selbst wenn sie den Titel nicht holen“, preist die „Washington Post“.

In ihrem Erfolg erkennen sie, was sie sonst für typisch amerikanisch halten: die Chance für den Nachwuchs; die Einbindung von Einwanderern; und das Daumendrücken für die Underdogs gegen angeblich überlegene Favoriten wie England, Argentinien und Europameister Spanien. Die „New York Times“ hatte schon vor der Vorrunde prophezeit: „Deutschland kommt weit und Italien scheitert, weil die Deutschen jung, dynamisch und integrativ sind.“ cvm

SPANIEN

Wenn plötzlich fremdsprachenungeübte Durchschnittsspanier versuchen, Zungenbrecher wie Esweijnsteijcher richtig auszusprechen, dann ist das schon ein großes Kompliment: Spanien hat verdient gegen Deutschland gewonnen, aber bei aller Euphorie über den ersten Einzug in ein WM-Finale vergisst man nicht den „deutschen Giganten“ („El País“) Respekt zu zollen. Deutschland war Spaniens Angstgegner, das Halbfinale galt als vorgezogenes Finale. Galt Löws Elf doch lange als bessere Version der bis dahin noch etwas gehemmten spanischen Nationalmannschaft: „Los alemanes“ zeigten schnelles Kombinationsspiel, angriffsorientierten One-Touch-Fußball, eben jene Spielweise, für das „la roja“, „die Rote“, seit der Europameisterschaft 2008 bewundert wurde. Trainer Vicente del Bosque resümierte nach dem gewonnen Halbfinale: „Auch gegen uns waren sie eine große Mannschaft, aber wir haben sie etwas kleiner gemacht.“ Der fußballerische Stil-Transfer funktioniert übrigens in beide Richtungen, notierte die katalanische Tageszeitung „El Periodíco“ süffisant: „Spanien hat gewonnen wie die Deutschen: mit einem gigantischen Kopfballtor.“ jum

SÜDAFRIKA

Am Kap sind es längst nicht mehr nur die Deutschen selbst, die sich die Wangen Schwarz-Rot-Gold bemalen oder mit Shirts und Kappe Flagge zeigen. Längst ist der Begeisterungsfunken übergesprungen. Auch bei vielen Südafrikanern liegt der German-Style voll im Trend, zumal viele Menschen am Kap deutsche Wurzeln haben. Selbst Bundeswehr-Hemden sieht man vereinzelt im Stadtbild – getragen von Townshipkids! Im Sportman’s Warehouse von Rondebosch, einem der größten Läden für Sportbekleidung in Kapstadt, gab es zur Wochenmitte nur noch langärmelige Sweatshirts mit dem deutschen Bundesadler. Die Original-Spielertrikots, die in Südafrika immerhin 700 Rand (75 Euro) kosten, waren bereits vor dem Spiel gegen Argentinien vergriffen. „Wir hatten einfach zu wenig geordert“ gesteht Henry, ein Verkäufer in der Soccer-Abteilung.wdr

FRANKREICH

Eine Fußballkneipe in Bordeaux. Wer mindestens vierzig Jahre alt ist, kann prinzipiell nicht für Deutschland sein: Der brutale Sprung des deutschen Torwarts Schumacher in den Franzosen Battiston beim WM-Halbfinale FrankreichDeutschland 1982 hat sich tief ins kollektive Gedächtnis gegraben. Doch spätestens mit dem 4:0 gegen Argentinien erobern Müller, Özil und der Rest des Teams endgültig die Herzen. „Die stellen sich nicht hinten rein, selbst wenn sie führen“, heißt es anerkennend. Viele Gäste betonen einen gewaltigen Unterschied zum Auftritt der Équipe tricolore bei dieser WM: „Die Deutschen treten wirklich als Mannschaft auf.“ Am Ende des Argentinien-Spiels bekommt Student Romain eine SMS von seinem von 1982 geschädigten Vater: „Ich habe den Eindruck, das Brasilien der WM 1970 zu sehen.“ Beim Spanien-Spiel war Romain wieder da, doch nachher war er enttäuscht „Ich hatte den Eindruck, Deutschland spielt gegen seinen neuen Offensivgeist.“ Dennoch hat Deutschland viele neue Fans gewonnen, auch unter den Kindern des nahegelegenen Selesian Collèges, die davor beim Kicken nur Gerrard oder Rooney sein wollten. Nun sind Müller und Schweinsteiger angesagter. san

CHINA

Die Fußballbegeisterung ist enorm, 40 Millionen Zuschauer schalteten schon in der Vorrunde ein. Auch die deutschen Siege über England und Argentinien haben in China begeistert. So entdeckte ein Sprecher bei CCTV1 im Spiel der Deutschen ein Beispiel für das Kollektiv. „Wir sahen das Ende des heroischen Individualismus“, schwärmte er ganz im Sinne der kommunistischen Staatsführung. ben

ENGLAND

Im Mutterland des Fußballs führen die guten Leistungen der deutschen Nationalelf wie beim 4:1 gegen das englische Team zu einer Sinnkrise. „Ist es okay, die Deutschen anzufeuern?“, fragte die Boulevardzeitung „The Sun“ verschämt in einer Umfrage, und 68 Prozent der Leser antworteten „Yes“. Die BBC fordert sogar, das deutsche Jugendmodell zu übernehmen. Und der „Mirror“ verzweifelt am Verlust seiner alten Feindbilder: „Kahn, Freund, Eilts, Reck, Strunz, and Kuntz – 1996 klangen die Namen noch wie Befehle, doch heute klingt alles weicher: Lahm, Khedira, Gomez, Klose.“ dob

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