zum Hauptinhalt

Sport: Endstation Wirklichkeit Japan verliert im Achtelfinale 0:1 gegen die Türkei

Von Martin Hägele Miyagi. Ein Gastgeber muss sich würdevoll verabschieden, besonders in Asien.

Von Martin Hägele

Miyagi. Ein Gastgeber muss sich würdevoll verabschieden, besonders in Asien. Und so wahrten die Mitglieder der Blauen Armee auch beim Abgang ihr Gesicht. Statt der Ehrenrunde, die wohl eingeplant war, falls sie sich unter den besten acht der Welt platziert hätten, holten sie sich ihren letzten Applaus auf einem Marsch entlang den Linien des Fußballfeldes ab. Manche versuchten dabei, möglichst aufrecht zu schreiten, andere schleppten sich mehr, als dass sie gingen. Daisuke Ichikawa, der in der Pause eingewechselt worden war, aber fünf Minuten vor Schluss wieder ausgewechselt wurde, fing sogar an zu heulen. Offensichtlich fühlte er sich schuldig, dass er dem Match nicht wie gegen Tunesien eine Wende hatte geben können. Japan unterlag der Türkei 0:1, Ümit Davala hatte schon nach zwölf Minuten getroffen. Japans größte Chance war ein Lattenschuss kurz vor der Pause.

Allerdings war Japans stolze Equipe auch für das Ausscheiden präpariert. Schon zwei Minuten nachdem Schiedsrichter Colina die 14-tägige Mission, die längst historisch genannt wurde, abgepfiffen hatte, trugen alle Mitarbeiter von Trainer Troussiers Kolonne blaue und graue T-Shirts mit der Aufschrift „Thank you Japan". Auch der Chef marschierte mit ums Stadion von Miyagi, auch er machte in den Ecken einen Diener vor der Galerie; eine Verbeugung vor 44 666 Menschen, stellvertretend für Millionen Bewohner der Inselkette, die sich in diesen Tagen in ein Volk von Fußballfreunden verwandelt hatten. „Troussier Nippon“ kam als Echo auf diese Geste zurück. Was wohl heißen sollte: Merci, du hast uns phantastische Tage geschenkt.

Wären diese Leute nicht so mit Dank erfüllt und würden sie ein bisschen mehr von diesem Spiel verstehen, so hätte sich Troussier am letzten Tag seines fast vierjährigen Abenteuers durchaus einige kritische Fragen anhören müssen. Denn irgendwie muss ihm beim Nominieren der Mannschaft sein Gespür verlassen haben. „Ich werde jede ihrer Bewegungen genau beobachten. Ich werde tief in ihre Gesichter schauen - und ihre Gesichter werden mir verraten, wer spielt.“ Sicher, hinterher ist jeder gescheiter. In den Mienen seiner Leute, übrigens der jüngsten Mannschaft des Turniers, hatte der große Guru nichts von jener Nervosität entdeckt, die sich schon sehr früh zeigen sollte.

Nach zwölf Minuten spielte Koji Nakata einen fast schon kindlichen Fehlpass, wie er dem 22-jährigen Zweitligaspieler seit Wochen nicht mehr unterlaufen ist, und beim anschließenden Eckball konnte Ümit Davala ungestört Maß nehmen zum Kopfball. Solche Freiheiten hatte Japans Hintermannschaft im ganzen Turnier keinem Gegenspieler gewährt. „Ich mache mir den Vorwurf, dass ich nicht da schon gewechselt habe." Troussiers Erkenntnis kam zu spät. Gegen die routinierten, ballsicheren und zweikampfstarken Türken fanden die Japaner nie zu jenem Tempo und Feuer, das zuvor immer nach der Pause die Kräfte ihrer Gegner aufgefressen hatte.

Man braucht kein Wichtigtuer zu sein, aber auch dafür sollte Troussier zum letzten Mal Verantwortung übernehmen. Wieso ausgerechnet Inamoto, der wenigstens seine Duelle gewonnen im Mittelfeld für Ruhe gesorgt hatte, im zweiten Spielabschnitt auf die Bank musste und dort mit versteinerter Miene neben dem zur WM eingebürgerten, in der Pause ebenfalls ausgewechselten Santos (bis dahin gefährlichster Angreifer) sitzen musste, während sich Shinji Ono durchs Spiel quälte, bleibt das letzte Geheimnis, das Troussier Fußball-Japan hinterließ.

Doch weil er sich das Turnier zu Ende anschauen will, wird er wohl auch noch hören und lesen, dass einige seiner Schützlinge mündig geworden sind – und ihn indirekt kritisieren. „Santos war der einzige Stürmer, der sich gegen die Türken durchsetzen konnte“, sagte Inamoto nach der Niederlage. Inamoto, Japans große WM-Entdeckung, wollte seine Analyse nicht für sich behalten. Auch wenn er sich bemühte, die Enttäuschung nicht zu personifizieren. Immerhin habe seine Mannschaft enorm an Selbstbewusstsein gewonnen, ihre Zukunft sehe ganz gut aus, „auch wenn wir uns bis 2006 ein bisschen steigern müssen“.

Um 17.21 Uhr waren die Träume beendet, alle waren von ihrem blauen Planeten zurückgekehrt in die Wirklichkeit. Und dem wohl ehrlichsten Fazit wollte auch niemand widersprechen. Es kam von Trainer Philippe Troussier: „Der Unterschied zwischen Japan und der Türkei liegt in der Erfahrung. Unsere Leute spielen für Kyoto oder Osaka. Die Türken spielen in Mailand.“ Zumindest der, der das Tor schoss.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false