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Lange Gesichter. Die deutschen Handballer um Andreas Wolff und Uwe Gensheimer haben sich die Niederlage selbst zuzuschreiben.

© Robert Michael/dpa

Enttäuschend bei der Handball-EM: Das deutsche Team steht sich mal wieder selbst im Weg

Die deutschen Handballer werden das EM-Halbfinale sehr wahrscheinlich verpassen. Damit wird das nächste Turnier mit einer großen Enttäuschung enden.

Andreas Wolff schäumte vor Wut und musste sich zwangsläufig ein Ventil suchen. Im Sinne der Frustbewältigung zeigte der Torhüter der Handball-Nationalmannschaft am späten Samstagabend gleich eine Reihe vielsagender Gesten.

Zunächst machte er den Scheibenwischer, kurz darauf schlug er sich zwei Mal mit der flachen Hand gegen die Stirn. War das gerade wirklich passiert? Und wenn ja: Wie konnte es so kommen? Wolff nahm sogar Kontakt zu höheren Instanzen auf. Er starrte für einen Moment an die Decke der Wiener Stadthalle und schickte ein Stoßgebet hinterher.

Spiel gegen Kroatien kippt aufgrund einfacher Fehler

Nach seinem Durchbruch auf internationalem Niveau bei der Europameisterschaft 2016 ist der 28-Jährige längst nicht mehr der aufstrebende, junge Keeper von damals. Wolff hat mittlerweile fast 100 Länderspiele bestritten – und diese Erfahrung genügte zur Erkenntnis, dass sich vor seinen Augen gerade die entscheidende Sequenz eines großen Handballspiels ereignet hatte. Drei Minuten vor dem Ende der EM-Hauptrundenpartie gegen Kroatien besaßen die Deutschen die Chance, mit zwei Toren wegzuziehen.

Dann leisteten sie sich einen völlig unnötigen Ballverlust, der den Gegner regelrecht zum Konter einlud: Domagoj Duvnjak, der kroatische Ausnahmekönner in Diensten des THW Kiel, nahm das Geschenk dankend an und glich aus. Statt einer Zwei-Tore-Führung stand es 24:24, das Spiel war endgültig gekippt. Im Handball kann das bekanntlich schnell gehen.

Nachdem Igor Karacic den 25:24-Endstand erzielt hatte, war wenig später klar: Mit dem Halbfinale in Stockholm wird es bei dieser Europameisterschaft sehr wahrscheinlich nichts fürs deutsche Team. Es gibt zwar noch theoretische Konstellationen für den Einzug unter die letzten Vier, aber die entsprechende Kausalkette ist so lang wie kompliziert: Deutschland müsste die Hauptrundenspiele gegen Österreich am Montag (20.30 Uhr, live in der ARD) und Tschechien am Mittwoch gewinnen, Tschechien müsste Kroatien schlagen, Kroatien wiederum Spanien – und Weißrussland müsste sich gegen Österreich und mit mindestens sechs Toren Vorsprung gegen Spanien durchsetzen.

Nicht zu fassen. Das Team um Christian Prokop steigerte sich enorm, doch es reichte nicht.
Nicht zu fassen. Das Team um Christian Prokop steigerte sich enorm, doch es reichte nicht.

© Imago/Kessler

Der amtierende Bundestrainer, Christian Prokop, war trotzdem bemüht, die positiven Erkenntnisse des Abends in den Vordergrund zu stellen. „Wie man ein Spiel verliert, macht einen großen Unterschied. Man kann enttäuscht sein von der eigenen Leistung, man kann nicht alles gegeben haben, man kann mutlos gespielt haben oder zu wenig investiert haben“, sagte der 41-Jährige und betonte: „Aber das ist alles nicht der Fall. Mit ein bisschen mehr Cleverness stehen wir wieder mal als Sieger da.“ Was Prokop damit genau meinte, dürfte allerdings sein Geheimnis bleiben.

Fakt ist nämlich, dass seit dem völlig überraschenden EM-Titel vor vier Jahren jedes Turnier mit einer großen Enttäuschung für den Deutschen Handballbund (DHB) zu Ende gegangen ist: 2017 blamierte sich die Nationalmannschaft nach einer überragenden Vorrunde im WM-Achtelfinale gegen die eingekaufte Auswahl Katars, der damalige Bundestrainer Dagur Sigurdsson coachte nicht nur sein letztes, sondern zugleich auch sein schlechtestes Spiel als DHB-Verantwortlicher. Die EM 2018 – Prokops Premiere – verlief so katastrophal schlecht, dass Vizepräsident Bob Hanning seine Zukunft im Verband mit jener des neuen Bundestrainers verknüpfte, um ihn vor einer Demission zu bewahren.

Die Weltmeisterschaft in Deutschland und Dänemark vor einem Jahr stellte dann zumindest unter emotionalen Aspekten eine angenehme Ausnahme dar: Das deutsche Team begeisterte die Zuschauer mit großer Leidenschaft und ließ sich von der Atmosphäre auf den Rängen ins Halbfinale tragen.

Ein Abbild des Duells um WM-Bronze gegen Frankreich

Dort allerdings war sie chancenlos gegen spielstärkere Norweger – und verdaddelte zwei Tage später im dänischen Herning auch noch die sicher geglaubte Bronzemedaille. Im kleinen Finale gegen Frankreich führte Prokops Team zur Pause mit vier Treffern (13:9), die Franzosen machten bis weit in die Schlussphase hinein keine Anstalten, die Partie noch drehen zu können. Am Ende gewannen sie trotzdem – 26:25.

Das Duell gegen Kroatien war ein Abbild des besagten Frankreich-Spiels. Bei einem Blick in die Statistik wäre man im Leben nicht darauf gekommen, dass Deutschland diese Partie verloren hatte. Allein der Vergleich der Torhüter sprach für Prokops Team: Andreas Wolff hielt herausragend, in seinem Arbeitsnachweis standen insgesamt 13 Paraden. Das kroatische Torhüter-Gespann Matej Asanin/Marin Sego kam dagegen nur auf fünf gehaltene Bälle. Dafür unterliefen den Deutschen gerade in der Schlussphase zahlreiche kapitale Fehler.

„Ein Unentschieden wäre heute wirklich gerecht gewesen“, sagte Kroatiens Nationalspieler und Siegtorschütze Igor Karacic später, „die Deutschen hatten einfach Pech“. Aber wie heißt es so schön auf dem Bolzplatz: Immer Pech ist auch eine Form von Unvermögen.

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