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Sport: Fahrt ins neue Leben

In seinem Rennwagen wäre Alessandro Zanardi fast zu Tode gekommen. Heute startet er mit dem Handbike beim New Yorker Marathon

Es ist mild geworden in der New Yorker Spätherbstsonne, warm beinahe, und Alessandro Zanardi steht der Schweiß auf der Stirn. Der freundliche Italiener mit den blonden Locken, den seine Fans nur Alex nennen, hat gerade eine Trainingsrunde durch den Central Park gedreht und sitzt jetzt auf der Zieltribüne des Marathons, für den er ein letztes Mal seine Form und sein Handbike getestet hat. „Sie entschuldigen, wenn ich sitzen bleibe“, witzelt er grinsend, während er sich das Gesicht mit einem Handtuch abtrocknet. Die Begrüßung ist eigentlich makaber, denn der ehemalige Formel-1-Pilot hat bei einem Rennunfall in der Champ-Car-Serie auf dem Lausitzring vor sechs Jahren beide Beine verloren. Aber mit diesen Worten macht es Zanardi seinem Gesprächspartner auch leicht, sich mit ihm auf Augenhöhe zu unterhalten. Dieser Mann, das ist sofort klar, stellt sich seiner Behinderung und will auf keinen Fall extra freundlich behandelt werden. Er will einfach nur reden über seinen neuen Sport – den New-York-Marathon, an dem er heute teilnehmen will.

So normal, wie es in einer Extremsituation überhaupt möglich ist, geht Zanardi schon nach seinem Unfall mit sich selbst um. Er tat sich nie öffentlich leid, begriff sein Schicksal nicht als Tragödie. Stattdessen akzeptierte Zanardi sein neues Leben und machte ansonsten so gut es ging weiter wie bisher – als Sportler. Er brachte sich mit Schwimmen, Kajakfahren und Kraftübungen körperlich in Form, lernte in Rekordzeit auf Prothesen zu laufen und fuhr so bald es ging wieder Autorennen. Im vergangenen Jahr gewann er zwei Läufe zur Tourenwagen-WM und steuerte beim Weltfinale furchtlos einen umgebauten Formel-1-Boliden. „Ich musste mich niemals dazu zwingen, zu denken, dass das Leben trotzdem irgendwie lebenswert ist“, erzählt er. „Die Dinge, die ich mit meinen Armen und Händen tun kann, füllen mich voll aus.“

Zu diesen Dingen ist vor sechs Wochen eine neue Tätigkeit hinzu gekommen: Marathon. Bei einem Partygespräch im September erzählte ein Manager einer italienischen Nudelfabrik dem Rennfahrer aus Bologna, dass die Firma nach einem Weg suche, sich bei den großen Laufveranstaltungen der Welt präsentieren zu können. Zanardi sagte ohne zu zögern, dass er der richtige Mann für dieses Vorhaben sei. Zwei Wochen später saß Zanardi schon in einem Handbike und trainierte. „Ich bin gleich beim ersten Mal 42 Kilometer gefahren“, berichtet er nicht ohne Stolz. „Danach wusste ich wenigstens schon mal, dass die Distanz kein Problem wird.“

Seitdem trainiert er jeden zweiten Tag mit dem Sportgerät, das, wie er sagt, für ihn eine Offenbarung ist. „Ich bin sehr froh, dass ich diesen Sport entdeckt habe, denn er macht mir ungeheuren Spaß.“ Das Handbiken ist Teil von Zanardis neuem Leben geworden und er wird es, davon ist er überzeugt, auch nach dem New Yorker Marathon weiter betreiben. „Es ist ja nicht so, dass ich vorher nichts gemacht habe“, sagt Zanardi. „Ich musste mich nur an eine neue Bewegung gewöhnen.“

Er weiß, dass zwei Monate Vorbereitung sicher nicht ausreichen, um sich Hoffnungen auf einen Sieg in New York machen zu dürfen. Allerdings, sagt er, werde er „ganz bestimmt alles daran setzen, so viele meiner 120 Konkurrenten hinter mir zu lassen, wie ich nur irgendwie kann“. Nach wie vor sei er ein Wettkämpfer, auch daran habe der Unfall, bei dem er knapp dem Tod entging, nichts geändert. „Ich habe lediglich gelernt, zu akzeptieren, dass ich nicht immer alles gewinnen kann“, sagt er. Seine eigene Gelassenheit führt Zanardi eher auf die Reife seiner mittlerweile 41 Jahre zurück als auf sein Schicksal. Außer dem Umstand, dass er zwei Gliedmaßen verloren hat, habe sein Unfall für ihn nichts verändert – darauf besteht Alessandro Zanardi immer wieder.

Zanardi schließt eine zweite Karriere als Marathon-Fahrer neben seiner ersten als Autorennfahrer nicht aus. „Ich will mich auf nichts festlegen, aber wie ich mich kenne, wird New York in diesem Jahr nicht mein letztes Rennen sein.“ So ist Alesandro Zanardi nun einmal: Er inspiriert durch die Kunst, sich sein Leben und die Freude daran nicht nehmen zu lassen.

Sebastian Moll[New York]

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