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Pechstein

© dpa

Fall Pechstein: "Ich habe den Dopingstempel auf der Stirn"

Ein Eilverfahren soll über den Fall Claudia Pechstein entscheiden. Auf einer Pressekonferenz hat die Eisschnellläuferin schwere Formfehler des Weltverbandes ISU angeprangert.

Berlin - Nach einer guten Stunde konnte Claudia Pechstein nicht mehr. Plötzlich brachen die Gefühle aus der wegen Dopings gesperrten Eisschnellläuferin heraus, die sich auf ihrer öffentlichen Entlastungsveranstaltung in einem Berliner Hotel lange perfekt zu kontrollieren gewusst hatte. „In den letzten Monaten bin ich durch die Hölle gegangen“, sagte Pechstein auf ihrer Pressekonferenz, die sie bis dahin vor allem damit verbracht hatte, mit einem Kugelschreiber zu spielen und möglichst aufgeräumt in die unzähligen Kameras zu gucken. „Ich habe den Dopingstempel auf der Stirn, mit dem Wissen, nichts getan zu haben“, sagte Pechstein nun und der Körper unter ihrem weißen Hemd bebte erregt. Schnell nahm sie sich wieder zurück, zog eine lange Liste mit ihren Dopingkontrollen hervor und zeigte auf rot markierte Stellen, auf denen angeblich fehlerhafte Tests zu sehen seien.

Sieht so eine Schuldige aus?

Ohne Atempause hatten zuvor ihr Manager Ralf Grengel, ihr Rechtsanwalt Simon Bergmann sowie herbeigeholte Wissenschaftler auf einer provisorischen Bühne auf alle möglichen Verfahrensfehler bei den Bluttests hingewiesen, die der Weltverband ISU bei Pechstein zwischen 2000 und 2009 durchgeführt hatte und dessen auffälligen Schwankungen rund um wichtige Wettbewerbe als Grundlage für die Sperre gedient hatten. Pechstein mischte sich in das medizinisch-juristische Schauspiel nur selten ein. Von einem zunächst nicht vorgestellten Moderator wurde es gut einstudiert präsentiert. Doch erst als sie selbst einmal das Wort ergriff, wurde es wirklich interessant. Zum Beispiel, als die 37-Jährige anbot, sich sechs Wochen in medizinischer Quarantäne untersuchen zu lassen, um zu beweisen, dass die umstrittenen Werte ihrer Retikoluzyten (junge rote Blutkörperchen) auch sonst großen Schwankungen unterliegen und daher kein Indiz für Doping sein könnten. Den Vorschlag eines mehrwöchigen Blutchecks unter Aufsicht, den der Dopingexperte und Molekularbiologe Fritz Sörgel im Tagesspiegel unterbreitet hatte, bewertete Pechstein nun als „ganz okay“, auch wenn es „schon Wahnsinn“ sei, was sie so alles zu ihrer Entlastung tun solle. Pechstein forderte dann konkret, dass die Nationale Anti-Doping-Agentur Nada die Untersuchungen überwachen solle und nicht die Internationale Eislaufunion ISU, denn die „solle ihren eigenen Laden erst mal selber aufräumen“, das Urteil aufheben und sich bei ihr entschuldigen. Doch die Nada ließ wenig später wissen, sie habe gar nicht das Geld und die Möglichkeiten dazu.

Sogar Innen- und Sportminister Wolfgang Schäuble wurde von Pechstein angegangen. „Ich weiß gar nicht, wie er darauf kommt zu sagen, dass ich meine Unschuld beweisen müsse“, sagte Pechstein, die bei der Bundespolizei angestellt und damit Schäuble unterstellt ist.

Redet so eine Unschuldige?

Der Ton jedenfalls wird schärfer vor der Präzedenzentscheidung, die Pechstein gemeinsam mit dem deutschen Verband vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas angestrengt hat und die für den Herbst erwartet wird. Und damit steigern sich auch Anzahl und Intensität der Vorwürfe, die Pechsteins Moderator vorsichtshalber am Schluss noch einmal zusammenfasste: Wie berichtet, soll es bei 11 von 95 Kontrollen Pechsteins angeblich Unregelmäßigkeiten geben – bei Dopingproben vermerkte Codenummern stimmten demnach nicht mit den Codes auf den Testlisten überein. Betroffen von Verwechslungen seien auch Daten, die erhöhte Retikoluzyten-Werte ausweisen und auf deren Grundlage Pechstein gesperrt worden war. Zudem weise selbst ein und dieselbe Probe von einem Bluttest am 15. April dieses Jahres in verschiedenen Laboren gravierende Schwankungen auf. Die ISU zeigte sich in einer ersten Reaktion verwundert über die Erkenntnisse und verwies auf möglicherweise falsch geeichte Geräte. Zudem weisen Experten darauf hin, dass die unterschiedlichen Kodierungen auch damit zusammenhängen können, dass die Blutproben an weitere Labore weitergegeben worden sein könnten, die diese dann umetikettiert hätten. All diese Formfragen dürften vor dem Cas zum wichtiger Verfahrensgegenstand werden und möglicherweise darüber entscheiden, ob Pechstein im kommenden Februar bei Olympia in Vancouver starten darf oder nicht.

Pechsteins Verteidigung scheint jedenfalls präpariert. Schon die Berliner Veranstaltung ließ sie von Beamerpräsentationen und Expertenanhörungen im Stile eines Gerichtsverfahrens untermalen. Nach einer guten Stunde konnte allerdings auch der Computer nicht mehr. Das Powerpoint-Programm von Claudia Pechsteins Management meldete: „Die Indexerstellung hat einen internen Fehler bemerkt und wird angehalten.“

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