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Fankultur: Dezember 1989: Herthas Ost-Fans feiern Weihnachten

Tränen, Jubel, Hertha-Lieder: In der DDR trafen sie sich heimlich, unter falschem Namen - doch nach dem Mauerfall durften die Anhänger erstmals öffentlich in Pankow jubeln. Lesen Sie hier die Reportage im Tagesspiegel vom Dezember 1989.

Jahrelang trafen sie sich in Ost-Berlin aus Angst vor der „Stasi“ heimlich, versteckten sich in ständig wechselnden Wohnungen, tarnten ihre kleine Weihnachtsfeier als Treffen einer Rentnervereinigung in Hinterzimmern von Kneipen – das alles ist vorbei. Für ihr Weihnachtsfest 1989 empfingen die 30 Ost-Berliner Mitglieder des Fußball-Traditionsvereins Hertha BSC ihre Gäste direkt am Grenzübergang Friedrichstraße mit Trompeten und Fanfaren, mit „Ha-Ho-He – Hertha BSC“ und zogen in aller Öffentlichkeit mit Trainer Werner Fuchs, einigen Spielern und Funktionären zum Rathaus nach Pankow, wo sie den Blauen Salon des Bürgermeisters für die Weihnachtsfeier gemietet hatten.


Bei Hertha gab es eine Geheim-Kartei für Ost-Berliner Fans

„So etwas habe ich noch nie erlebt“, berichtete der aus Saarbrücken etwa vor einem Jahr nach Berlin gekommene Coach. „Diese Bilder werde ich noch jahrelang mit mir tragen.“ Unter dem Weihnachtsbaum seien einige Hertha-Freunde, darunter der heute 80jährige frühere Hertha-Spieler Werner Tonke, „mit strahlenden Gesichtern gestanden, wie sie nur Kinder haben können“. Für die Hertha-Mitglieder im anderen Teil der Stadt bedeutete es die größte Freude, sich endlich offen zu ihrer Liebe zu Hertha bekennen zu dürfen. Jahrzehntelang waren sie unter Decknamen in einer geheimgehaltenen Kartei geführt worden. Jetzt konnte ihr Vorsitzender Wolfgang Blankenburg seine Gäste ohne Angst willkommen heißen.

Sie hatten, nun das erste Mal in aller Öffentlichkeit, laut Fuchs „das Beste aufgetischt, alles was sie geben konnten, hatten sie für uns herangeschafft“. In einer „mehr als warmherzigen Atmosphäre“, mit vielen Tränen und Erinnerungen an die alten Hertha-Zeiten, gab es ein Hertha-Quiz, ein „Kleintor-Schießen“, wurden Weihnachtsgedichte vorgetragen, gab es Süßigkeiten für die Kinder, Wolle zum Stricken für die Frauen. Fuchs: „Es war so gemütlich. Unsere Gastgeber waren über dieses kleine bißchen Freiheit fast überdreht vor Glück.“


An der Plumpe feierten die Ost-Fans - hinter der Mauer

Fuchs hatte am eigenen Leibe erst vor kurzem die Probleme zu spüren bekommen – vor der Wende. „Ich war zu einem heimlichen Besuch unserer Fans in Richtung Ost-Berlin unterwegs. Am Grenzübergang Friedrichstraße wurde ich regelrecht auseinandergenommen, gefilzt. Sogar die Zigaretten wurden mit abgenommen, sie müßten geröntgt werden, erzählten mir die Grenzer. Ich wurde gefragt, ob ich Rauschmittel mitführe. Es dauerte so lang, daß sich meine Freunde in Ost-Berlin die allergrößten Sorgen machten.“

Auch das ist vorbei. „Wir treffen uns jetzt auch zu Hertha-Spielen in unserem Olympiastadion regelmäßig.“ Bei diesem Satz kann sich Fuchs an das bewegende Erlebnis eines seiner Vorgänger bei Hertha BSC im Traineramt, Jürgen Sundermann, erinnern. Sundermann stand früher auch als Spieler im Hertha-Team. Bei Spielen im alten Stadion am Gesundbrunnen waren von der anderen Seite der Mauer immer die Anfeuerungsrufe einiger hundert Ost-Berliner Fans zu hören, und dies, obwohl sie vom Spiel selbst nichts sehen konnten.

Im Sommer feiern die Herthaner auf dem Müggelsee - ohne Geheimnisse

Diese und andere wehmütige Erinnnerungen wurden bei der Weihnachtsfeier im Blauen Salon des Rathauses von Pankow ausgetauscht. Auch die bisher einmal im Jahr unter falschem Namen organisierte Dampferfahrt auf dem Müggelsee soll nun ohne Heimlichkeit für Mai 1990 als „Hertha-Treff“ geplant werden. Wie immer muß der Schornstein des Schiffes blau-weiß sein, in Erinnerung an die Vereinsgründung auf einem Havel-Dampfer mit blauweißem Schornstein und dem Namen „Hertha“ vor 97 Jahren.

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