zum Hauptinhalt

Fans diskutieren: Das Fußball-Parlament

Europas Fans diskutieren über Geld und Gewalt. Bei aller Rivalität haben die Fans viele gemeinsame Anliegen. Fast überall werden die Anstoßzeiten immer stärker vom Fernsehen bestimmt, geraten Fans mit Sicherheitskräften aneinander, werden die Geschicke der Vereine von Investoren und Sponsoren beeinflusst.

Gleich zu Beginn schärft Kevin Miles seinen Zuhörern ein, was an diesem Wochenende auf sie zukommt. „Wir haben ein historisches Unterfangen vor uns“, sagt der bullige Fan von Newcastle United und mehr als 350 Köpfe – blonde und ergraute, kahlrasierte und von Locken bedeckte – nicken. Fans aus 29 Ländern, die rund zwei Millionen Anhänger repräsentieren, sind an diesem Sonnabend zum zweiten Europäischen Fußball-Fankongress in die Hamburger Arena gekommen, um zu diskutieren, zu feiern und eine gemeinsame Interessenvertretung ins Leben zu rufen. Sie alle eint die Überzeugung, die Miles als Mitglied des achtköpfigen informellen Führungsgremiums so zusammenfasst: „Die Leute, die das Geld in den Fußball stecken, sollen genauso viel zu sagen haben wie die Leute, die Geld damit verdienen.“

Die Platin-Vip-Lounge des Hamburger SV, in der bei Bundesligaspielen sonst Banken, Energieversorger oder Automobilkonzerne ihr Klientel verköstigen, ist voll von Menschen, die sich allwöchentlich in europäischen Stadionkurven die Seele aus dem Leib brüllen. Die spanischen Aficiones Unidas haben ebenso Vertreter geschickt wie die Rude Boys von Sampdoria Genua, der FC United of Manchester oder der 1. FC Union. Ein stiernackiger Mann in einem T-Shirt, dessen Aufschrift ihn als „Clan Chieftain, Tartan Army, East of Scotland“ ausweist, sitzt neben einer jungen Norwegerin von der Norsk Supporterallianse. Vor einem Jahr, beim ersten Fankongress in London, ist ein europäisches Netzwerk entstanden, das mit Leben gefüllt werden soll.

Bei aller Rivalität haben die Fans viele gemeinsame Anliegen. Fast überall werden die Anstoßzeiten immer stärker vom Fernsehen bestimmt, geraten Fans mit Sicherheitskräften aneinander, werden die Geschicke der Vereine von Investoren und Sponsoren beeinflusst. Der Kongress kann all das in zwei Tagen nicht ändern, das Ziel ist es aber, eine gemeinsame Stimme zu finden, mit der man sich besser einmischen kann.

Wie schwer das ist, zeigt sich in den zehn Workshops, die am Sonnabend tagen. In der Arbeitsgruppe mit dem Titel „Gewaltprävention oder kollektive Bestrafung? Fan-relevante Gesetzgebung“ berichtet ein Schwede von einem 15-jährigen Fan, der zwei Jahre Stadionverbot erhielt, weil er versucht hatte, einen Linienrichter mit Wasser zu bespritzen. Alle Anwesenden sind sich einig, dass das ein Unding ist. Aber wie reagieren?

Für die Gruppe, welche eine gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit, Stadionverbots-Richtlinien und ein grenzübergreifendes Anwaltsnetzwerk ausarbeiten soll, melden sich ein kaum volljähriger Ultra von Bröndby IF, ein griechischer Rechtsanwalt und Panathinaikos-Fan im zartblauen Oberhemd und ein Waliser mit tätowierten Unterarmen.

Die Uefa hat rund 70 000 Euro für die Organisation des Kongresses zur Verfügung gestellt. Zum Beispiel für die Simultandolmetscher, die eine Kommunikation unter manchen Teilnehmern erst möglich machen. „Die Klubs und Verbände haben Ressourcen – die Fans nicht“, sagt der Uefa-Gesandte William Gaillard. Er sagt, dass der Fußball besser geschützt sei, wenn die Fans mehr zu sagen haben: Obskure Investoren hätten es so schwieriger, sich einzukaufen, junge, talentierte Spieler könnten nicht ohne Weiteres hin- und hergeschoben werden. Gaillard setzt große Hoffnungen in den Kongress. „Wenn Fans bei einem Fußballspiel sind, denken sie mit ihrem Herzen“, sagt Gaillard. „Aber außerhalb des Stadions sind sie sehr rational handelnde Menschen.“

Am Sonntag wird die erste Mitgliederversammlung des Netzwerks tagen, eine Art Fan-Parlament. Eine formelle Satzung soll verabschiedet werden, ein Vorstand gewählt und ein endgültiger Name für das Projekt – Arbeitstitel: „Football Supporters Europe“ – gefunden werden. Doch es wird noch eine Weile dauern, bis der Chor der europäischen Fans eine gemeinsame Stimme findet. „Nach diesem Wochenende werden wir nicht fertig sein“, sagt Kevin Miles. „Das ist erst der Anfang.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false