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Sport: Foul von höchster Stelle

Vor 20 Jahren erschütterte ein Skandal den DDR-Fußball: Der Schand-Elfmeter von Leipzig half dem BFC

Berlin - Der Ball rollt und rollt. Doch der Jenaer Schiedsrichter Bernd Stumpf hält sich nicht an die Regel, dass ein Spiel 90 Minuten dauert. Er leitet die DDR-Oberliga-Partie zwischen Lok Leipzig und dem BFC Dynamo nach einer anderen Linie: Schluss ist, wenn DDR-Meister BFC von Stasi-Chef Erich Mielke das Siegtor oder zumindest den Ausgleich erzielt hat. 22. März 1986, Bruno-Plache-Stadion, 95. Minute: Eine Flanke segelt in Leipzigs Strafraum, der Ost-Berliner Bernd Schulz kommt zu Fall, Stumpf pfeift Elfmeter. Frank Pastor trifft zum 1:1. Der „Schand- Elfmeter von Leipzig“ geht in die ostdeutsche Sportgeschichte ein. Doch 20 Jahre später ist der Fall nicht klar aufgearbeitet: Stumpf arbeitet weiterhin in verantwortlicher Position im Thüringer Fußball.

Es war ein denkwürdiges Spiel. In der zweiten Minute schoss Olaf Marschall Lok in Führung. Die Gastgeber kämpften um den Vorsprung, sichtbares Zeichen war der Turban, mit dem Lok-Kapitän Frank Baum nach einem Tritt gegen den Schädel über den Rasen rannte. In der 80. Minute wurde noch Leipzigs Matthias Liebers vom Platz gestellt. Mit Gelb belastet trat er bei einem BFC-Freistoß zu früh aus der Mauer und erhielt Rot. Und dann der Elfmeter. Das war selbst den an manche Schiebung gewöhnten Fans in der DDR zu viel. Eine Protestwelle rollte durch das kleine Fußballland – und die Staats- und Parteiführung gab nach.

Der Fußball-Verband leitete eine Überprüfung der Oberliga-Saison 1984/85 ein und kam klar zu dem Schluss: Der BFC wurde systematisch bevorteilt, die Konkurrenten Dynamo Dresden und Lok Leipzig benachteiligt. In vielen Petitionen an Staatschef Erich Honecker und seinem Ziehsohn Egon Krenz hatten zuvor Fans und SED-Mitglieder ihre Empörung ausgedrückt. Bald hingen „Fußball-Frage“ und „BFC-Diskussion“, wie sie intern genannt wurden, Honecker und Krenz zum Hals heraus. Sogar der SED-Sport-Agitator Rudolf Hellmann sagte: „Die Schiedsrichter sollen souverän leiten, vor allem jetzt vor dem XI. Parteitag.“ Mit Rückendeckung von Krenz wurde an Stumpf ein Exempel statuiert. Seine Einstufung als „Internationaler sowie Oberliga- und Ligaschiedsrichter“ wurde aufgehoben. Für den 45 Jahre alten parteiischen Unparteiischen bedeutete dies eine Sperre auf Lebenszeit. Dessen Protest bei Honecker scheiterte – zu groß war die Wut im Land.

Nicht nur Rundfunkreporter Wolfgang Hempel war bei seiner Live-Reportage empört („Das darf doch nicht wahr sein“). Nach Spielschluss sagte Peter Gießner, SED-Mitglied und Lok-Vorsitzender: „Ich schäme mich für das, was hier passiert ist.“ SED-Dokumente belegen auch Proteste von Funktionären: Der Zweite Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig, Helmut Hackenberg, sandte ein Fernschreiben an das SED-Zentralkomitee, dass bei vielen Genossen berechtigte Empörung herrsche. „Es gab auch eine Reihe Bemerkungen, was sich Dynamo-Mannschaften noch alles leisten dürfen, bis hin, dass einzelne Spieler (Lippmann) die DDR verraten.“ Damit spielte der Leipziger Funktionär darauf an, dass Dresdens Frank Lippmann nach dem Europapokal-Spiel in Uerdingen am 19. März 1986 nicht in die DDR zurückkehrte. Diese Passage animierte Mielke zu der Replik: „Soll ich mal sagen, wie viele Personen aus dem Bezirk Leipzig schon die DDR verraten haben?“

Schiedsrichter Stumpf nützte die Debatte nichts, er war bei vielen Fans als roter Referee verschrien. Nach Aktenlage und eigenem Bekunden hatte er sich schon während seiner Armeezeit 1963 als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi verpflichtet. Zur längeren Zusammenarbeit kam es jedoch nicht, weshalb sich Stumpf heute gegen die Bezeichnung „Stasi- Schiedsrichter“ wehrt. Linientreu war er allemal. 1975 attackierte er den Chef der Schiedsrichterkommission Jena, Heinz Planer, weil der aus dem Westen 20 Schiedsrichterpfeifen zugeschickt bekam. Planer verlor seinen Posten. Heute dazu befragt sagt Stumpf, er würde das wieder tun. Stumpf verpflichtete sich am 8. Juni 1989 als IM „Peter Richter“ erneut, wenige Wochen vor dem Umbruch.

Nach der Wende gehörte Stumpf nach eigenen Worten zu den Gründern des Thüringischen Fußballverbandes und ist nach wie vor als Schiedsrichterbeobachter und im Ausbildungswesen für seinen Verband tätig. Zudem reist der Jenaer des öfteren nach Berlin: Er ist Mitglied der Kommission Sicherheit und Ordnung des Nordostdeutschen Fußball-Verbandes.

Der Politologe Hanns Leske ist Autor des Buches „Erich Mielke, die Stasi und das runde Leder“. Im kommenden Jahr erscheint sein Handbuch des DDR-Fußballs.

Hanns Leske

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