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Frankreichs Trainer: Alle hassen Raymond

Frankreichs Trainer Raymond Domenech muss nach der WM gehen - sein Vertrag wird nicht verlängert. Die französischen Fans haben längst genug von ihm.

Egal, wie Frankreich bei der WM abschneidet, eines kann Raymond Domenech niemand mehr nehmen: seinen Rekord als am längsten amtierender Trainer des französischen Teams. 76 Spiele wurden es mit dem letzten Testspiel vor der WM gegen China, einer erschreckenden 0:1-Niederlage. Damit kommt der umstrittenste Nationaltrainer der französischen Fußballgeschichte bereits auf ein Spiel mehr als Michel Hidalgo, unter dem Ende der siebziger Jahre die „Generation Michel Platini“ aufblühte.

Domenech, dessen Team heute auf Uruguay trifft, wird seinen Rekord jedoch nur noch begrenzt ausbauen können: Sein Vertrag wird nach der WM nicht verlängert. Nachfolger wird Laurent Blanc, bisher Trainer von Girondins Bordeaux. Nach dem blamablen Aus bei der EM 2008 durfte Domenech nur unter der Bedingung bleiben, dass er besser mit der Öffentlichkeit kommuniziert. Doch es hat sich wenig geändert. Fragen nach seinen oft erstaunlichen sportlichen Entscheidungen blockt Domenech meist ab. In den Testspielen wechselte er plötzlich vom üblichen 4-2-3-1-Schema zu einem 4-3-3-System. Eine Frage nach der Unausgewogenheit zwischen Defensive und Offensive im neuen System konterte Domenech auf seine typische, provokante Art: „Für mich ist es auch ein 5-5-System.“

In den letzten Wochen präsentierte sich der 58-Jährige plötzlich in einigen Interviews und Fernsehsendungen ganz privat, wohl um sich anständig zu verabschieden. „Zwischen mir, dem Publikum und den Journalisten hat es immer eine Hassliebe gegeben. Ich habe die Leute nie gleichgültig gelassen“, bekannte Domenech. Das Testspiel gegen China war das erste Spiel seit der EM 2008, bei dem Domenech nicht vom Publikum ausgepfiffen wurde – und das nur, weil das erste Spiel der Nationalelf in der Überseeregion La Réunion als Volksfest gefeiert wurde. Trotzdem widersprach Domenech der verbreiteten Einschätzung, er sei der meistgehasste Mann Frankreichs: „Wenn ich in Paris spazieren gehe, beschimpft mich keine einzige Person, aber Hunderte wollen ein Autogramm von mir.“

Vor diesem Hintergrund ist es wenig erstaunlich, dass Domenech Klassiker wie „Psychologie der Massen“ von Gustave Le Bon liest. Außerdem interessiert er sich für Neurolinguistik, Astrologie und Poker; in den achtziger Jahren spielte er in einer Theatertruppe. Die ganz wenigen Fürsprecher, die sich in den letzten Wochen öffentlich äußerten, beschreiben Domenech in ähnlichen Worten wie der Sänger Patrick Bruel: „Er ist charmant, witzig und sympathisch, also das genaue Gegenteil seines Bildes in der Öffentlichkeit.“

Während der WM schottet sich die französische Nationalelf auf Geheiß von Domenech in ihrem sehr luxuriösen Hotel an der Südküste Südafrikas ab. Ausgang gab es für die Spieler bisher keinen, Zeitung lesen hat Domenech auch verboten. Nichts solle seine Spieler ablenken, sagte Domenech: „Ich möchte jeder Ausrede vorbeugen, um ihnen zu sagen, dass allein ihre Leistungen den Unterschied ausmachen werden.“ Es ist auch eine Art Selbstschutz. Jedenfalls werde er sich nicht mehr wie in der Vergangenheit vor seine Spieler stellen, sagt Domenech: „Ich habe nichts mehr zu gewinnen. Aber auch nichts zu verlieren.“

Matthias Sander

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