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Sport: Freudenfeste und Proteste

In Iran sprechen manche schon von einer neuen Revolution. Eine "Fußball-Bewegung" erschüttert die Islamische Republik und bringt vielleicht heiß ersehnte Freiheiten.

In Iran sprechen manche schon von einer neuen Revolution. Eine "Fußball-Bewegung" erschüttert die Islamische Republik und bringt vielleicht heiß ersehnte Freiheiten. Manche erinnern die derzeitigen Massen-Versammlungen und Demonstrationen in den Straßen Teherans und anderer Großstädte an die turbulenten Monate vor dem Sturz des Schahs 1979. Auch damals hatten Jugendliche Banken überfallen und Schaufenster eingeschlagen. Die Szenen wiederholen sich bei aktuellen Fußball-Krawallen. Damals trugen die Unruhen zum Sturz der Monarchie bei. Und heute?

Gleich mehrmals in der Vorwoche schlugen Sicherheitskräfte des "Gottesstaates" heftig zu, als nach Fußballspielen Zehntausende in die Straßen stürmten. Sie feierten, nachdem ihr Land in der Weltmeisterschafts-Qualifikation die Vereinigten Arabischen Emirate 1:0 geschlagen hatte. Mädchen widersetzten sich kühn den strengen islamischen Sittenregeln und tanzten mit jungen Männern vor den Augen der Sittenwächter in den Straßen. Zehntausende säumten auch die Plätze, nachdem Iran völlig unerwartet gegen Bahrain 1:3 verloren hatte.

Fußball-Fanatismus hat in Iran lange Tradition. Viele Jahre musste das Volk auf den Sport verzichten, nachdem das Regime in den instabilen Revolutionszeiten die meisten Spiele verboten hatte. Nun fürchten iranische Kommentatoren, das "Fußball-Chaos" könnte ein erneutes Verbot einleiten. Tatsächlich sind Irans mächtige Konservative zutiefst irritiert. Jede Massenversammlung könnte sich als Beginn einer "subversiven" Bewegung erweisen. Deshalb hatte man vor einigen Jahren Versammlungen von mehr als drei Personen verboten. Spontane Freudenfeiern nach Fußballsiegen bieten der politisch und sozial frustrierten Jugend ein willkommenes Ventil - endlich eine Möglichkeit des Protests gegen die strikten sozialen Regeln, gegen soziale Nöte und unerfüllte Reformversprechen Präsident Mohammed Chatamis.

Bei den Fußball-Unruhen geht es um mehr als Sport. Immer öfter rufen feiernde Jugendliche Slogans gegen das Regime, besonders gegen den "Geistlichen Führer" Ayatollah Chamenei, den sie für Repressionen verantwortlich machen. Auch der gemäßigte Chatami bleibt nicht verschont, Protestler werfen ihm Schwäche gegenüber den Reformgegnern vor. Erstmals erklingen sogar Rufe nach der Monarchie. Dies trifft das Regime an seiner empfindlichsten Stelle.

Die Stimmung spiegelt den Einfluss der Exil-Iraner wider, darunter der Familie des gestürzten Kaisers. Aus den USA gesendete Satellitenprogramme rufen die Iraner auf, sich nach Fußballspielen zu Protesten gegen das Regime zu versammeln. Bei einer Kundgebung wurde Reza Pahlavi, der in den USA lebende Sohn des gestürzten Schahs, zum "Geistigen Führer" erkoren. Die Bemühungen der USA, mit Hilfe des früheren afghanischen Königs eine politische Lösung für den Nachbarstaat zu finden, geben auch Reza Pahlavi Hoffnung auf eine Rückkehr in seine Heimat.

Zutiefst irritiert schlagen Irans Sicherheitskräfte mit voller Härte zu. Mehr als 1000 jugendliche Demonstranten wurden festgenommen. Die meisten von ihnen waren nur harmlose Passanten. Die Behörden können nur schwer zwischen Fußballfans, Randalierern und politischen Oppositionellen unterscheiden. Schon kündigte der höchste Revolutionsrichter keine Gnade für die "Aufrührer" an.

Wie schwierig die Lage ist, zeigt die jüngste Äußerung des Chefs der iranischen Fußball-Föderation, Safaei Farahani. Er musste Gerüchte dementieren, wonach das iranische Team gezwungen worden sei, gegen den weit schwächeren Gegner Bahrain zu verlieren, damit es zu keinen Freudenkundgebungen komme. Zugleich stürmten Sicherheitskräfte in den vergangenen Tagen Wohnungen und Hausdächer - ein verzweifelter Versuch, das seit 1995 geltende Verbot von Satellitenfernsehen durchzusetzen. Tausende Schüsseln wurden konfisziert. Den Spielplan können die Sittenwächter allerdings nicht beeinflussen. Weitere WM-Qualifikationsspiele stehen auf dem Programm.

Birgit Cerha

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