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© AFP

Fußballer-Rhetorik: Alle viere gerade sein lassen

Seitdem Paul Breitner gesagt hat, er habe seinen "Finger in Wunden gelegt, die sonst unter den Teppich gekehrt worden wären", gehen wir an keinem Flokati vorbei, ohne uns Eiterbeulen darunter vorzustellen. Und es geht sogar noch schlimmer!

Vor dem Heimspiel gegen den auswärtsschwachen Tabellenletzten warnt Torjäger Olaf Marschall: "Wir dürfen den Gegner nicht übers Knie brechen!" Er will uns sagen, dass man geduldig und hochkonzentriert ins Spiel gehen müsse und nicht mit der Einstellung, schon in der ersten halben Stunde alles klar machen zu wollen, um dann die Partie mit halber Kraft nach Hause zu schaukeln. In der Rhetorik-Schule für Vollprofis hat Olaf Marschall gelernt, nicht nur grammatikalisch korrekt zu sprechen, sondern auch interessant und bildreich zu sein. "Etwas übers Knie brechen" bedeutet bei uns so viel wie "etwas übereilt erledigen". Genau davor warnt Olaf M.: Wer glaubt, den Tabellenletzten übers Knie brechen zu können, nimmt ihn auf die leichte Schulter und steht am Ende womöglich mit leeren Händen da: Knie, Schulter, Hände - anschaulich formulieren, heißt mit Händen und Füßen reden.

Das Risiko des bildhaften Sprechens ist der Bildbruch. Wer vom "Zahn der Zeit, der an uns allen nagt", behauptet, er habe "schon manche Träne getrocknet", der begeht einen solchen Bildbruch, obwohl wir mühelos verstehen, was gemeint ist: Die Zeit heilt alle Wunden. Bildbrüche sind bei Fußballern besonders beliebt. Sie sind die Fettnäpfchen, in die sie gerne treten und von denen eine parasitäre Publizistik lebt. "Ich habe meine Finger immer nur in Wunden gelegt, die sonst unter den Teppich gekehrt worden wären", behauptet Paul Breitner, der selbsternannte Chef-Ankläger des deutschen Fußball-Business.

"Ich sag mal einfach ja gut sicherlich"

Der moderne Fußballprofi muss nicht nur ein Meister am Ball sein, sondern auch ein gewandter Interviewpartner. Wo er auftaucht, werden Rede und Antwort von ihm verlangt. Wer glaubt, dem entgehen zu können, indem er "den Sand in den Kopf steckt", wie Matthäus gesagt hat, der täuscht sich gewaltig. Wenn unsere Profis mit einem Mikrofon bedroht werden, kommt leider oft nichts als Floskelei ("Ich sag mal einfach ja gut sicherlich") und Kauderwelsch dabei heraus, auch bei denen, die eigentlich Vorbild sein sollten und ältere Herren mit grauen Schläfen sind: "Grundsätzlich werde ich versuchen zu erkennen, ob die subjektiv geäußerten Meinungen subjektiv sind oder objektiv. Wenn sie subjektiv sind, werde ich an meinen objektiven festhalten. Wenn sie objektiv sind, werde ich überlegen und vielleicht die objektiven subjektiv geäußerten Meinungen der Spieler mit in meine objektiven einfließen lassen." Ein Bundestrainer, Erich Ribbeck im Jahr 2000, der so quacksalbert, untergräbt die eigene Autorität mehr als jeder seiner Kritiker.

Schlusspfiff. "Tornado" Tönnies reißt beide Arme hoch. Er ist glücklich und erschöpft zugleich. Der wuchtige Mittelstürmer hat alle drei Tore beim Drei-zu-Null-Sieg seines Clubs gegen die favorisierten Frankfurter geschossen. Am Spielfeldrand fängt ihn ein Radioreporter vom Hessischen Rundfunk ab und möchte, noch bevor er ihm gratuliert, über "kleine Schwächen im Aufbauspiel" sprechen. Da lacht Michael Tönnies gequält und sagt: "Nein, nein, heute wollen wir mal alle viere gerade sein lassen!" Welch eine geniale Replik, die zwei gängige Redewendungen gewitzt miteinander verschränkt und alles beantwortet: "Alle viere von sich strecken", so kaputt ist der Torjäger, dass er das jetzt am liebsten möchte. "Fünfe gerade sein lassen": angesichts der gezeigten großen Stärken spricht man zwei Minuten nach dem Abpfiff nicht über kleine Schwächen. Das ist eine Frage des Anstands. Eleganter kann man den unsensiblen Hörfunk-Stoffel vom Gehessischen Rundfunk nicht abblitzen lassen!

Mit freundlicher Genehmigung von 11freunde.de.

Prof. Dr. Klaus Hansen

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