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Sport: Ganz Deutschland ändert sich - nur die Fußball-Nationalmannschaft nicht

Fußball, heißt es, repräsentiert die Stimmungslage des Landes, in dem er gespielt wird. Ob das noch gültig ist bei dem Kader des Deutschen Fußball-Bundes für die Europameisterschaft?

Fußball, heißt es, repräsentiert die Stimmungslage des Landes, in dem er gespielt wird. Ob das noch gültig ist bei dem Kader des Deutschen Fußball-Bundes für die Europameisterschaft? Nicht, dass es viele andere, bessere Kicker im Lande gegeben hätte, die Teamchef Erich Ribbeck hätte nominieren können. Aber Aufbruch, Reformfreude, Innovation, worüber im politischen Deutschland inzwischen wenigstens diskutiert wird, ist im fußballerischen Deutschland kein Thema. Was in knapp drei Wochen im Namen der Republik vor den Ball tritt, wirkt doch ein wenig rückwärtsgewandt.

Parallelität bietet sich an, polemische Parallelen, zugegeben, aber das macht sie nicht falsch. Da schart sich also die Abwehr um das Urgestein, Lothar Matthäus. In die Jahre gekommen, nicht mehr so fix, nicht mehr flexibel, stur und starr, aber stolz auf die Verdienste der Vergangenheit, in der er vom Mantel der Fußball-Geschichte umhüllt war. Machtbesessen aber ist dieser Helmut Kohl des Leders immer noch, und in diesem Kader einer vergangenen Ära darf er es sein. Seinen Vize, seinen Kinkel hat er auch, ausgestattet mit einem gewichtigen Titel, aber zu sagen hat Erich Ribbeck nicht wirklich was. Die Politik, die Taktik, legt Matthäus fest, sein Adlatus darf sie verkaufen, und dessen rechte Hand, Horst Hrubesch, der gerne den Part von, sagen wir mal, Juliane Weber übernommen hat, ist zuständig für den alltäglichen Abwasch.

Und weiter: Im Mittelfeld wurde Blüm reaktiviert, der kleine Thomas Häßler, den alle so gerne knuddeln möchten, dessen Impulskraft aber auch nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit ist. Sein letztes Länderspiel hat er vor zwei Jahren gemacht. Oliver Bierhoff im Sturmzentrum, der war mal gut, pointiert setzte er mit dem Kopf Treffer. Heute ist er meist auf Werbefeldzug, wird nicht mehr recht ernst genommen, unser Oskar. Den Möllemann gibt abwechselnd Mehmet Scholl, das ewige Talent, und Torwart Jens Lehmann. Der fliegt auch so rum, landet ab und an mal einen Erfolg und bleibt doch zweite Wahl. Nun gut, Sebastian Deisler ist dabei, der Jungspund von Hertha BSC. Schwer vorzustellen, dass er in diesem angestaubtem Ensemble, über die Rolle des Quoten-Jugendlichen hinaus kommt. So einen jungen Alibi-Wilden hatte Kohl auch, war weiblich damals und hieß Claudia Nolte.

Man will ja die rot-grüne Politik nicht übermäßig preisen, aber in der Nationalmannschaft wäre man schon froh über einen wie Schröder, wie Eichel, wie Müller oder Naumann. Aber die wenigen vorhandenen zukunftsorientierten Kräfte, etwa der künftige Berliner Stefan Beinlich, der Tore schießen kann und Spiele lenken, wurden nicht berücksichtigt. Andere, wie der Leverkusener Libero Jens Nowotny, dürfen nicht vorbei am beharrenden Matthäus.

Die weltweit anerkannt beste Kraft ist Oliver Kahn. Was auch irgendwie typisch ist, ein Torwartproblem hatte Deutschland noch nie, Torhüter sind Besitzstandswahrer. Die Abwehr, Markus Babbel, Thomas Linke, wenig filigrane Haudraufs, man wird sie wohl wieder die "deutschen Panzer" nennen. Und auch das Mittelfeld ist nicht gerade elegant. Jens Jeremies, Carsten Ramelow, Christian Ziege - eher brechen Knochen der Gegner als im deutschen Fußball Traditionen. Na ja, vielleicht schießen Carsten Jancker oder Ulf Kirsten, zwei ausgemachte Fürchtegotts, vorne die Tore.

Es steht zu befürchten, dass es nicht viele sein werden. Der deutsche Fußball steckt im Reformstau, der Fußball-Standort Deutschland ist wahrlich ein Stand-Ort, Bewegung ist nicht zu erkennen. Wie da die internationale Meisterschaft überstehen? Wie immer, durchwurschteln in der Vorrunde, krampfen und kämpfen in den weiteren Spielen und im Finale über sich hinaus wachsen? Das funktionierte ein letztes Mal vor vier Jahren beim kontinentalen Vergleich in England. Aber da gab es noch eine Hierarchie in der Mannschaft, da wurde der Chef noch als solcher anerkannt, er hieß seinerzeit Matthias Sammer. Aber schon vor zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft in Frankreich war Kohl-Matthäus wieder an Bord und wollte noch einmal die Vergangenheit einläuten. Es ging bekanntlich schief. Es hat sich jedoch noch nichts geändert, es wird sich so bald auch nichts ändern. Als neuer Präsident des Deutschen Fußball-Bundes ist Gerhard Mayer-Vorfelder aus Stuttgart vorgesehen, als künftiger Teamchef Otto Rehhagel im Gespräch. Beide wirkten schon in ihren Ämtern, als Kanzler Kohl von der Kanzlerschaft höchstens träumte.

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