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Sport: „Ganz normal leben“

Ein Jahr nach dem Rennunfall: Alessandro Zanardi über den Alltag mit künstlichen Beinen

Welche Erinnerungen haben Sie noch an den 15. September 2001?

Ich erinnere mich an gar nichts. Nichts von dem Unfall, nur einiges vom Renntag. Ich bin ja erst eine Woche später aufgewacht. Alles, was dazwischen passiert ist, ist noch nicht zurückgekommen.

Wie war der Moment des Aufwachens?

Das war sehr seltsam. Ich fühlte mich durcheinander, so wie aus einem Tiefschlaf geweckt, sehr plötzlich. Meine Frau war da und erklärte mir, was passiert war. Aber ehrlich gesagt: Ich hatte solche Schmerzen, dass der Verlust meiner Beine für mich nicht das Hauptproblem war. Mir war völlig klar, dass mein Leben in allerletzter Sekunde gerettet worden war. Ich dachte nur: Na gut, wir werden schon einen Weg finden weiterzumachen. Und nun lasst mich schlafen.

Im Unfallkrankenhaus von Marzahn versprühten Sie erstaunlichen Optimismus.

Ich versuche, immer vorwärts zu denken: Okay, ich habe meine Beine verloren, aber heutzutage machen sie fantastische Sachen. Wer weiß, wozu ich in zehn Jahren wieder fähig bin. Es kommen auch eine Menge Freunde, die erzählen dir von dem Typen, der auf einen Berg rannte, und als er oben war, nahm er seine Beine ab. Also sagst du dir: Das werde ich auch machen. Ich werde ein ganz normales Leben führen. Erst später, wenn du zum ersten Mal auf den Prothesen stehst, merkst du, dass es sehr viel härter ist, als du es dir ausgemalt hast.

Also waren Sie nicht immer so optimistisch?

Natürlich nicht. Manchmal denke ich an die Zeit, als ich zehn Kilometer in weniger als vierzig Minuten gelaufen bin. Das geht nicht mehr, und damit komme ich nicht immer zurecht. Wenn ich einen Vater sehe, der seinen Sohn auf den Schultern trägt, dann werde ich eifersüchtig. Andererseits: Mein Sohn kann zwar nicht mehr auf meinen Schultern sitzen, aber er muss auch keine Blumen auf einen Grabstein legen.

Erzählen Sie von der Reha-Arbeit.

In Berlin haben sie vor allem mein Leben gerettet, womöglich war es der beste Ort, an dem ich nach so einem Unfall landen konnte. Dann ging ich nach Bologna, in eines der besten Rehazentren Europas. Es war sehr schmerzhaft, die Bewegungen zu lernen, es war hart, den Prothesen zu vertrauen. Ein Bein zu verlieren ist eine schlimme Sache, aber wenn man zwei verliert, ist das nicht ein verdoppeltes Handicap, es ist zwanzigmal so schlimm.

In welcher Phase der Rehabilitation sind Sie?

Die wird erst zu Ende sein, wenn ich sterbe. Jeden Tag verbessert sich die Technologie. Als Nächstes werde ich ein elektronisches Knie ausprobieren, das einen Mikroprozessor hat, der die Hydraulik des Knies kontrolliert. Es verlangsamt die Bewegungen, wenn man droht zu fallen.

Wie sieht Ihr Alltag aus?

Hier in Monaco, wo ich lebe – das ist reiner Urlaub. Ich laufe nur ein bisschen herum, aber auch dann ist die Zeit schon gut verbracht, denn da lerne ich sehr viel und verbessere, was ich in Bologna gelernt habe. Ich lebe mein Leben, es ist nur alles ein bisschen komplizierter. Wenn Milch fehlt, dann gehe ich los mit meinen künstlichen Beinen. Banal – aber für mich ist es eine gute Übung.

Sie haben den Beruf verloren…

Ich bin fast 36 Jahre alt – allzu lang wäre es sowieso nicht mehr gegangen. Aber es ist schon Pech: Ich bin so lange Rennen gefahren, und nichts ist passiert, und just, da ich aufhören wollte, passiert es. Aber ich habe keine Angst davor, neue Dinge zu probieren. Wenn ich falle, gut, okay, dann stehe ich wieder auf und versuche es von Neuem.

Sie geben Alex Tagliani, der Sie mit 300 Stundenkilometern rammte, keine Schuld?

Er war sehr unglücklich. Das sollte er nicht sein. Denn es war ja nicht seine Schuld, es war ganz allein meine. Ich war an einem Platz, wo ich nicht sein sollte. Und er kam mit normaler Geschwindigkeit und tat alles, um den Unfall zu vermeiden. Das ist das Leben. Irgendwann kommt dein Tag. Man weiß ja auch gar nicht, wie oft man schon dem Tod um einen Augenblick entgangen ist. Tausendmal, nur um den Bruchteil einer Sekunde. Es ist eine Frage des Zusammentreffens. Und ich hatte Pech.

Haben Sie schon mal wieder in einem Rennauto gesessen?

Ich hatte genug andere Dinge zu tun, und es wäre wohl auch ziemlich schwierig, da hineinzukommen mit diesen Beinen. Vielleicht werde ich irgendwann mal wieder Auto fahren. Aber ich dürfte wohl nicht in der Lage sein, Formel-Autos zu fahren. Aber ich blicke nicht auf meine Karriere und sage, ach, was wäre wenn… Ich vermisse das, es war eine großartige Zeit. Aber nun ist es Zeit, etwas anderes zu machen. Ich bin nicht nur Rennfahrer, ich bin Mensch. Zwar nicht Albert Einstein, aber ich bin fähig, andere Dinge zu tun. Ich tue, was ich kann.

Das Gespräch führte Detlef Dresslein .

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