zum Hauptinhalt

Sport: Gegen Portugal kämpfen

Angola trifft auf seine frühere Kolonialmacht

Kurz vor seinem WM-Debüt hält Manuel Cange den unwissenden Deutschen einen Vortrag über die Fauna seiner Heimat. „Die schwarze Antilope ist ein stolzes Tier. Sie ist schlau und schnell und nicht zu fassen. Alle bewundern und lieben sie.“ Schwarze Antilopen, so nennen die Angolaner ihre Fußball-Nationalmannschaft. Natürlich nehmen auch die Spieler die edlen Eigenschaften der wilden Spießböcke für sich in Anspruch. Das sagt Manuel Cange nicht, aber der stolze Ton seines Vortrags im Mannschaftshotel Celler Tor lässt keine andere Interpretation zu. Der Verteidiger trägt den Künstlernamen Loco. Das klingt wie „Louco“, der Verrückte, was ganz gut zu seinem Äußeren passt. Loco hat seinen Schädel kahl geschoren bis auf eine Bürste von zehn Zentimeter Länge, dort legt sich das Haar in kleinen Büscheln auf die Stirn, der Frisur des Brasilianers Ronaldo bei der WM 2002 nicht unähnlich.

Loco steht bei der WM-Premiere seines Landes vor einem aufregenden Abend. Heute geht es in Köln gegen Portugal, ausgerechnet gegen die frühere Kolonialmacht. Auch gegen die portugiesischen Weltstars werde seine Mannschaft spielen wie immer, hat Trainer Luis Oliveira Goncalves verkündet. Ihr ganz eigenes Spiel haben die Angolaner schon beim letzten Duell der beiden Mannschaften aufgezogen. Das war am 14. November 2001 in Lissabon, und beide Nationen denken nicht gern an diesen Tag zurück.

10 000 Zuschauer verloren sich damals im Estadio Jose Alvalade, zum großen Teil Portugiesen mit angolanischen Wurzeln. Sie freuten sich über ein schnelles Führungstor des Außenseiters, der fortan aber nicht mehr viel zum sportlichen Teil der Auseinandersetzung beitrug. Als Erster flog der Angolaner Yamba Asha nach einem harten Tritt gegen das Knie von Joao Pinto vom Platz. Auf ähnliche Weise versündigte sich Wilson an Luis Figo. Er durfte nach zwei Karten innerhalb einer halben Minute ebenso den Platz verlassen wie wenig später sein Kollege Franklim. Das alles geschah noch in der ersten Halbzeit, die Angola mit sieben Feldspielern und einem 1:3-Rückstand beendete. Weil diese sieben so müde waren, wechselte Trainer Mario Calado gleich sechs von ihnen aus. Der einzig Verbliebene, Verteidiger Neto, empfahl sich schnell und erfolgreich für den vierten Platzverweis. Kurz darauf mochte Helder Vicente wegen einer vermeintlichen Verletzung nicht mehr weiterspielen. Da niemand mehr auf der angolanischen Bank saß und das Reglement die Anwesenheit von mindestens sieben Spielern vorschreibt, wurde die Partie beim Stand von 5:1 abgebrochen. Den Rest des Abends gestalteten die angolanischen Fans individuell, mit dem Demolieren von Sitzen in Stadion und U-Bahn.

So viel zur Vorgeschichte. Die Neuauflage heute (21 Uhr, RTL und Premiere) ist für Angola das Ereignis des Jahres. „Das ganze Land wird vor den Fernsehgeräten sitzen, und wir werden den Menschen eine Freude machen und zeigen, dass wir auch Fußball spielen können“, sagt Stürmer Arsenio Sebastiao Cabungula, genannt Love. Offiziell ist die Schlacht von Lissabon in der angolanischen Delegation kein Thema mehr. „Aber die Spieler reden schon darüber“, sagt Team-Dolmetscher Helenio Russo. „Du hörst sie flüstern, beim Essen oder nach dem Training. Das Spiel ist nicht vergessen.“ Droht ein zweites Lissabon? Nein, sagt Helenio Russo, „es sind ja kaum noch Spieler von damals dabei“, nur noch die Stürmer Fabrice Akwa und Pedro Manuel Mantorras. Es sind die Stars des Teams.

Mantorras ist der berühmteste Fußballspieler Angolas. Aus den Slums von Luanda hat er es bis zu Benfica Lissabon geschafft. Im Auftaktspiel gegen Portugal wird er nur als Joker auf der Bank sitzen, als einziger Stürmer wird Akwa spielen. Der ist zu Hause ein Held, seit er das entscheidende Tor gegen Ruanda erzielte, mit dem sich Angola für die WM in Deutschland qualifiziert hat. Fünf Tore hat Akwa in der WM-Qualifikation geschossen, die Hälfte seiner Mannschaft. Daraufhin fühlte er sich zu Höherem berufen und verließ seinen Klub Al Wakhra in Katar. In Deutschland spielt er um einen Vertrag in Europa.

Ähnliches hat Joao Ricardo im Sinn. Der angolanische Torhüter ist seit zwei Jahren ohne Verein und hält sich bei wechselnden Klubteams fit. Unabhängig von seiner vertraglichen Situation steht Joao Ricardo für eine neue Generation von Nationalspielern – für Angolaner, die nach der blutig erkämpften Unabhängigkeit des Landes 1975 nach Portugal flüchteten. Als der folgende Bürgerkrieg nach 26 Jahren endlich beendet war, begannen Späher des angolanischen Fußballverbandes, die portugiesischen Ligen nach den emigrierten Landsleuten zu durchsuchen. Sie fanden Spieler wie Joao Ricardo, der als Fünfjähriger nach Portugal kam. Oder Rui Marques, der Angola mit neun Jahren verließ. Der Verteidiger spielte in der Bundesliga für Ulm, Stuttgart und Hertha BSC, mittlerweile steht er im englischen Hull unter Vertrag und hat als 29- Jähriger im März gegen Südkorea in der Nationalmannschaft debütiert. In Angola hat er nie gespielt, und für einen Platz in der Elf gegen Portugal wird es auch nicht reichen. Auf seiner Position spielt Manuel Cange, genannt Loco, die schwarze Antilope mit der Frisur von Ronaldo.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false