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Sport: Genau ihre Zeit

Kim Clijsters schlägt Mary Pierce und gewinnt bei den US Open erstmals ein Grand-Slam-Turnier

Der atemberaubendste Teil des Frauenfinales bei den US-Open kam, als der letzte Ball geschlagen war. Wie im Rausch rannte die siegreiche Kim Clijsters zwischen den Fotografen hindurch auf die Tribüne, balancierte auf einem daumenbreiten Eisengeländer über den Centre Court, sprang in die Box eines TV-Kameramannes und schaffte es irgendwie sicher zu ihrer Mutter und ihrer Schwester, die sie mit Umarmungen und Tränen begrüßten. „Ich wollte einfach nicht alleine da unten stehen“, sagte die Waghalsige später, „und kaum hatte ich ihre Blicke aufgefangen, musste ich sie einfach drücken. Ich hatte keine Ahnung, wo ich hinlief und was ich tat.“ Wenigstens auf dem Rückweg halfen ihr dann kräftige Sicherheitsmänner, auf den Hardcourt zurückzukehren.

Als die Bälle noch flogen, hatte Clijsters ganz anders ausgesehen: Wie vom Computer gesteuert, hämmerte sie ihre Schläge von der Grundlinie in die Ecken des gegnerischen Feldes. Alles, was zurückkam, erliefen ihre schnellen Beine, die sie im Notfall sogar zu einem spagatähnlichen Ausfallschritt spreizen kann. Das Endspiel gereichte zu einer Demonstration, nach nur einer Stunde war die 3:6, 1:6-Niederlage der Französin Mary Pierce besiegelt. „Sie war klar die bessere Spielerin und hat den Sieg absolut verdient“, sagte Pierce nach ihrem unvollendeten Comeback niedergeschlagen. Böse wollte sie ihrer Gegnerin nicht sein. „Kim ist einfach so super nett.“

Das sagen alle im Tenniszirkus, in dem übertriebener Ehrgeiz und Missgunst nicht selten sind. Doch die 22 Jahre alte Belgierin hasst kaum ein Kompliment mehr. Denn zwischen den Zeilen schwang bisher die Einschätzung mit: zu nett, um zu gewinnen. „Ehrlich gesagt macht es mich verrückt, wenn die Leute das sagen“, klagte Clijsters, „Roger Federer ist einer der nettesten Jungs auf der Tour – aber das hält ihn auch nicht davon ab, zu gewinnen“. Sie selbst musste diesen Bewies noch antreten, galt sie doch bis zu ihrem Matchball am Samstagabend im voll gepackten Arthur-Ashe-Stadion als die talentierteste Spielerin, die nie ein Grand-Slam-Turnier gewann.

In Belgien hatten sie ihr deshalb schon den wenig schmeichelhaften Beinamen „Poulidor“ gegeben, geliehen vom französischen Rennradfahrer Raymond Poulidor, dem tragischen Helden, der nie die Tour de France gewann. 2001 verlor Clijsters das Finale der French Open in einem dramatischen Tiebreak gegen Jennifer Capriati, in Paris und New York (jeweils 2003) und in Melbourne (2004) unterlag sie im entscheidenden Match jeweils ihrer Landsfrau Justine Henin-Hardenne. Um diesen Fluch zu überwinden, brauchte es offensichtlich erst eine harte Lektion des Lebens. Nach einer schweren Handgelenkverletzung musste Clijsters sich im vergangenen Jahr zwei Operationen unterziehen. Zwischenzeitlich waren sich die Ärzte nicht sicher, ob sie je wieder Tennis würde spielen können. Nach acht Monaten Pause kam sie dann Anfang dieses Jahres zurück – und seitdem halten nicht nur die Sehnen in ihrem Schlagarm, sondern auch die Nerven in großen Partien.

Sie dominierte die Tour, gewann vor den US Open sieben Titel, verlor kein einziges Finale und unterlag in 61 Duellen gerade sechs Mal. „Vielleicht war vorher einfach nicht meine Zeit“, sagte Clijsters nach ihrem großen Triumph. Trotz all der Freude und des schönen Schecks über 2,2 Millionen Dollar, dem höchsten Preisgeld in der Geschichte des Frauensports, ließ sie keinen Zweifel daran, dass ihre Zeit ein Verfallsdatum hat. In zwei Jahren, hat sie sich vorgenommen, wird sie den Tennisschläger an den Nagel hängen. Dann wäre sie zwar erst 24, aber darauf kommt es ihr nicht an: „Ich merke den Preis, den mein Körper zahlen muss, und ich will auch mit 30 oder 35 noch in der Lage sein, Sport zu treiben.“ Dann sollte sie sich allerdings künftig auch mit waghalsigen Kletterpartien über rutschige Geländer zurückhalten.

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