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Mischung aus Michael Jordan und Houdini. Boateng rettet spektakulär.

© AFP

Jerome Boateng und seine Rettungstat: Genug der Nachbarschaftshilfe!

Jerome Boateng wird gefeiert - aber aus den falschen Gründen. Es heißt nicht mehr nur: Welch ein Spieler! Sondern auch: Welch ein Nachbar! Das muss aufhören.

Jérôme Boateng dürfte auf absehbare Zeit keine Schwierigkeiten mehr bei der Wohnungssuche haben. Und das nicht nur, weil er bereits eine vermutlich sehr komfortable Immobilie im Münchner Grüngürtel sein Eigen nennt – er soll dort eine Schatzkammer nur für seine riesige Turnschuhsammlung freigeräumt haben – und so bald auch nicht wird umziehen müssen, sein Vertrag beim FC Bayern läuft schließlich noch bis zum Sommer 2021. Sondern auch, weil ihm eine Vielzahl der Deutschen mindestens ein WG-Zimmer, wenn nicht gleich einen Bauplatz auf dem Grundstück nebenan angeboten haben, nachdem der stellvertretende AfD-Vorsitzende, Rechtspopulist und Moral-Panic-Erzeuger Alexander Gauland in einem Interview mit der „FAZ“ in unverhohlen rassistischer Manier getönt hatte: „Die Leute finden Boateng als Fußballspieler gut, aber sie wollen ihn nicht als Nachbarn haben.“

Man sollte Boateng wieder der sein lassen, der er ist

Mit der Welle der Solidarität, die unter dem Hashtag #nachbarboateng durch die sozialen Medien rollte, und des Fußballers wunderbar gelassener Reaktion auf den Unflat von rechtsaußen („Ich kann darüber nur lächeln“) hätte man es nun eigentlich bewenden und Gauland als den dastehen lassen können, der er ganz offenbar ist: als einen, der das Ticken der Uhr in seiner guten Potsdamer Stube nicht erträgt und lieber den greisen Querulanten gibt. Auch hätte man Boateng wieder den sein lassen können, der er ist: einen Innenverteidiger von bedrückend kraftvoller Eleganz, den besten der Welt womöglich, einen Athleten, dessen Kunst für sich steht.

Boateng muss nichts mehr beweisen

Doch nun scheint es so, als würden seine spektakulären Aktionen eben nicht mehr nur im Kontext des Sports interpretiert, etwa seine Rettungstat im Gruppenspiel gegen die Ukraine, bei der er den Ball in einer komplizierten Flugchoreografie von der Linie kratzte, als wäre er Michael Jordan und Harry Houdini zugleich. Denn ganz unmittelbar werden Husarenstücke wie diese als Widerlegung von Gaulands Blödsinn gefeiert, es heißt jetzt nicht mehr nur: Welch ein Spieler! Sondern auch: Welch ein Nachbar! Als müsste Jérôme Boateng das noch unter Beweis stellen. Als hätte dieser Gauland am Ende doch Zweifel daran geweckt. Als wäre er kein so toller Nachbar, wenn ihm ein Eigentor unterliefe (was bei seiner schwindelerregenden Flugeinlage, am Rande bemerkt, durchaus hätte passieren können).

Wohnt er noch, oder spielt er schon?

Wohnt er noch, oder spielt er schon? Letzteres würde der superfokussierte Boateng zweifelsohne bejahen, und auch wir sollten das jetzt tun. Die Solidarität mit ihm war ein notwendiges Zeichen, doch auf Dauer führt sie zu einem sicherlich unerwünschten Effekt: Sie hält Gauland in der Debatte. Schon das ist viel zu viel.

Wer will denn, wenn Jérôme Boateng im EM-Finale hochsteigt und den Ball zum Sieg in die Maschen köpft, an einen alten Mann im Tweed-Jackett denken, der einmal Blech geredet hat?

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