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Titelblick. Nico Rosberg genügt am Sonntag ein dritter Platz zum Gewinn der Weltmeisterschaft.

© Iimago/Eibner

Update

Gerhard Berger zum Finale in der Formel 1: "Wenn Rosberg rausfliegt, muss Hamilton mitfliegen"

Lewis Hamilton startet in Abu Dhabi vor Nico Rosberg. Der frühere Formel-1-Pilot Gerhard Berger über Unfälle und andere Strategien, die Rosberg am Sonntag zum Weltmeister machen würden.

Von Christian Hönicke

Herr Berger, Sie haben im Sommer für Nico Rosberg den neuen Vertrag mit dem Rennstall Mercedes ausgehandelt. Welche Strategie würden Sie am Wochenende beim WM-Finale in Abu Dhabi an Rosbergs Stelle wählen?

Ich glaube, dass Nico mental in einer extrem schwierigen Situation ist. Es ist brutal schwierig, der Verlockung zu widerstehen, auf Angriff zu gehen, um das Rennen zu gewinnen und möglichst früh alles in trockene Tücher zu bringen.

Sie würden das nicht tun?

Nein. Nico braucht keinen Sieg. Er muss nur Zweiter oder Dritter werden, da muss er Speed und Risiko reduzieren. Er muss seine Strategie so wählen, dass weder Ferrari noch Red Bull ihm in die Quere kommen. Aber es ist ganz knifflig, da das richtige Maß zu finden. Wenn du zu viel reduzierst, dann hast du wieder den Max Verstappen im Getriebe. Nico muss seinen Rennfahrerinstinkt im Griff haben, diszipliniert sein und ganz kühl das Resultat mitnehmen, das er braucht. Bisher hat er das perfekt gemacht – auch beim letzten Rennen in Brasilien.

Viele haben ihn nach seiner konservativen Fahrt im Regen von Sao Paulo kritisiert.

Zu Unrecht. Als Verstappen an ihm vorbeigefahren ist, hat er die Nerven behalten und sich gesagt: Das wird sich schon wieder drehen, im schlimmsten Fall reicht mir der dritte Platz auch.

Ein erneutes Regenchaos ist in der Wüste von Abu Dhabi praktisch ausgeschlossen. Welche anderen Fallen warten am Wochenende auf Rosberg?

Da sind überall Fallen. Verstappen oder Daniel Ricciardo wissen: Den können wir attackieren, der muss im Zweifelsfall zurückziehen, sonst verliert der seine Weltmeisterschaft. Nico wird alle Augen im Rückspiegel haben und sofort die Tür aufmachen, wenn jemand angreift. Er kann sich keinen Ausfall leisten.

Worauf muss Rosberg sonst noch achten?

Er kann mit seinem Auto auch im Rennen noch überholen. Er darf seinen Motor und sein Getriebe nicht zu sehr belasten, ein technischer Defekt wäre der Super-GAU. In Brasilien hat er ja zum Schluss schon seinen Motor genau deswegen heruntergeregelt – der Nico hat eben Hirn. Dann muss er einfach schauen, dass er die erste Kurve heil übersteht und dann einen zweiten oder dritten Platz nach Hause fährt.

Auch ein Crash mit Hamilton würde Rosberg zum Weltmeister machen. Ihr früherer Teamkollege Ayrton Senna hat 1990 die Weltmeisterschaft gegen Alain Prost durch einen Unfall in der ersten Kurve von Suzuka gewonnen.

Also wenn Nico in der ersten Kurve abfliegt, dann muss er sicherstellen, dass Lewis auch mitfliegt (lacht).

Sollte er es darauf ankommen lassen?

Nein. Selbst wenn er vorn ist und die Tür zumacht, wäre das Risiko zu groß, dass nur Nico ausscheidet und dadurch die WM verliert. Diese Sachen kann man nie so genau steuern, erinnern wir uns an das Rennen in Österreich. Das ist alles viel zu gefährlich. Den Lewis braucht er eigentlich gar nicht wirklich im Auge haben. Der wird alles auf Sieg setzen, den kann er fahren lassen.

Hamilton könnte aber auch bewusst langsam an der Spitze fahren, um Rosberg aufzuhalten und seine Gegner in Schlagweite zu halten.

Natürlich. Der wird auch seine Taktik haben und seine Spielchen spielen.

Sie kennen Rosberg inzwischen ziemlich gut. Hat er die Nervenstärke, um diese Drucksituation zu überstehen?

Ja, die hat er. In den letzten Rennen hat er starke Nerven bewiesen. Vor allem das Regenrennen war eine brutale nervliche Herausforderung. Ich traue ihm auch zu, dass er sogar nur den dritten Platz in Abu Dhabi nach Hause fährt.

Ist das wirklich Taktik? Hamilton behauptet, Rosberg sei einfach nicht schnell genug.

Nein, das ist Taktik. Seit drei Rennen hat Nico in einen anderen Modus geschaltet, das musste er auch. Vorher hat er alles darauf gesetzt, den Lewis im Qualifying und im Rennen zu schlagen. Jetzt fährt er nur noch auf Resultat.

Hamilton ist nicht der Einzige, der sich als den schnelleren der beiden Mercedes-Piloten einsortiert. Auch Sie selbst sagen: Ein Hamilton in Topform ist unschlagbar. Wieso hat Rosberg dennoch wie schon 2014 die Entscheidung bis zum letzten Rennen offengehalten?

Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass Lewis ein besonderes Fahrtalent hat. Nico hat gelernt, dass er ihn rein vom Speed her nur an ganz besonderen Tagen schlagen kann. Aber als Gesamtpaket ist Nico genauso stark. Er kann Lewis schlagen, indem er das Auto besser abstimmt, indem er Rennsituationen besser nutzt, indem er zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle ist, indem er noch enger mit dem Team zusammenarbeitet, indem er seine Kraft aus der Ruhe und der Familie schöpft und nicht zwanzigmal über den Teich fliegt. Alle diese Mosaiksteine legt er sauber zusammen und versucht so, den talentierteren Lewis aus der Balance zu schmeißen.

Diese Herangehensweise pflegte einst auch Alain Prost gegen Ayrton Senna. Der viermalige Weltmeister legte Rosberg vergangenes Jahr im Tagesspiegel-Interview nahe, ein wenig schweigsamer und cooler aufzutreten.

Ja, und das tut er tatsächlich, das ist mir auch aufgefallen. Nico hat seine Emotionen unter Kontrolle, er lässt sich nicht mehr so leicht in die Karten schauen. Das ist ein Reifeprozess. Und der wird noch weitergehen, wenn er tatsächlich Weltmeister werden sollte. Denn eins ist klar: Irgendwann steht man als Fahrer ein bisschen mit dem Rücken zur Wand, wenn man zwar gute Rennen fährt, aber die Weltmeisterschaft nicht auf der Visitenkarte hat.

Sie haben damals als Prosts Nachfolger bei McLaren schnell Sennas Dominanz akzeptiert. Ist Rosberg besser als Sie?

Das sehe ich nicht ganz so. Ich habe den Ayrton über die gesamte Saison gesehen und nicht fordern können. Aber vom Speed her, im Qualifying, da waren wir nicht so weit auseinander. Als Gesamtpaket war Ayrton einfach stärker. Ich habe erst mit 21 Jahren mit dem Rennsport begonnen, Ayrton schon mit vier Jahren. Nico und Lewis haben beide schon als Kinder mit dem Kartsport begonnen, sie haben die gleichen Erfahrungen gemacht. Das einzige, was sie unterscheidet, ist ihr Naturell, die Persönlichkeit, und natürlich der Grundspeed.

Kann Rosberg diesen Grundspeed noch verbessern?

Nein, der ist angeboren. Der liebe Gott hat Hamilton ein besonderes Naturtalent gegeben, aber dem Nico dafür die Disziplin, im Detail und mit sehr viel Tiefgang Sachen zu analysieren und zu erarbeiten. Beides ist erfolgreich, und beides führt dazu, dass sie im letzten Rennen um die Weltmeisterschaft kämpfen.

Zumindest im Zweikampfverhalten mit Hamilton hat Rosberg sich verbessert. In Barcelona und Spielberg hat er dagegengehalten, wo er laut Einschätzung von Niki Lauda früher zurückgezogen hätte.

Ja, aber er war noch immer nicht konsequent genug. In Österreich hat Nico dabei nur sein eigenes Auto beschädigt, in Kanada hat er sich von Lewis von der Strecke drängen lassen. Beide Rennen hat Lewis gewonnen, Nico ist nur Vierter oder Fünfter geworden. Wenn das nicht passiert wäre, hätte er die Weltmeisterschaft schon gewonnen. Ich glaube, in solchen Situationen ist er immer noch nicht so entschlossen wie Lewis.

Wäre Rosberg dennoch ein verdienter Weltmeister?

Absolut. Er wäre ein guter Weltmeister. Man darf nicht vergessen: Nico hat alle Teamkollegen vor Lewis im Griff gehabt, geschlagen und zum Teil dominiert. Sogar ein Michael Schumacher hat sich die Zähne an ihm ausgebissen. Ich kenne Michael, der hat freiwillig nie jemandem den Vortritt gelassen. Mit Lewis Hamilton hat Nico nun jemanden im Team, der wirklich etwas ganz Besonderes ist. Der ist nicht ohne Grund hinter Michael Schumacher der erfolgreichste Fahrer der Geschichte. Ich glaube, dass sich alle anderen im Starterfeld an Lewis die Zähne ausbeißen würden. Wir wissen ja, wie gut Fernando Alonso ist, und der hat schon in der ersten Saison von Lewis mächtig geschwitzt.

Alonso ist 2007 nach nur einer Saison wieder vor Hamilton geflüchtet. Rosberg hat um zwei Jahre verlängert, er wird bis 2018 gegen Hamilton bei Mercedes fahren. Haben Sie ihm dazu geraten?

Ja. Mercedes ist aus heutiger Sicht das beste Team, also muss man dort bleiben, wenn man die Chance hat.

Hatte er keine Angst, weitere Niederlagen gegen Hamilton einzustecken?

So darf man nicht denken. Wenn man so denkt, ist man eine Nummer zwei.

Also tut man Nico Rosberg Unrecht, wann man ihn als Nummer zwei im Team bezeichnet?

Ja, absolut. Nico ist keine Nummer zwei. Er hat ganz klar auf der Agenda, den Lewis zu schlagen. Und es sieht ja auch so aus, dass es passieren wird.

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Gerhard Berger, 57, fuhr unter anderem für McLaren und Ferrari in der Formel 1. Der Österreicher gewann zehn seiner 210 Rennen und wurde 1988 und 1994 WM-Dritter.
Gerhard Berger, 57, fuhr unter anderem für McLaren und Ferrari in der Formel 1. Der Österreicher gewann zehn seiner 210 Rennen und wurde 1988 und 1994 WM-Dritter.

© AFP/Scheriau

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