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Tragödie in Brüssel. Die Katastrophe nimmt am 29.5.1985 im Brüsseler Heysel-Stadion ihren Lauf. Vor Beginn des Europapokal-Finals zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin kommt es zu schweren Ausschreitungen der Fans.

© picture alliance / dpa

Gewalt im Stadion: Gedenken an die Katastrophe von Heysel

Vor 31 Jahren starben 39 Menschen im Heysel-Stadion – eine Katastrophe, die den Fußball bis heute verändert hat. Ein Essay.

Am Sonntag ist es 31 Jahre her, dass Otello Lorentini seinen einzigen Sohn Roberto verloren hat. Der Fußballfan und Arzt hatte damals versucht, mitten im Brüsseler Massaker einen italienischen Landsmann zu retten und kam dabei im Stadion um, mit 31 Jahren. Posthum erhielt der Held von Heysel eine Silbermedaille für Zivilcourage. Sein Vater Otello gründete danach eine Vereinigung für die Familien der Opfer von Brüssel, um die Verantwortlichen des Blutbades, das den Fußball für immer veränderte, vor Gericht zu bringen. Es war ein langer, schwieriger und stiller Prozess. Still, weil er Jahrzehnte andauerte. Und still, weil es vielen unangenehm erscheint, sich an Heysel zu erinnern.

Aber Heysel ist ein Teil unserer Sportgeschichte und erinnert uns an jedem 29. Mai daran. Trotz des kollektiven Gedächtnisverlustes, der zum Vorschein kommt, wenn (unerwartet?) Gewalt in Stadien und Umgebung ausbricht. Dann nehmen wieder alle den Mund voll und sprechen auf einmal wieder vom Brüsseler Massaker, ohne die Fakten zu kennen.

Am 29. Mai 1985 starben in Brüssel, im baufälligen Heysel-Stadion, beim Europapokal-Endspiel Juventus Turin gegen den FC Liverpool, 39 Menschen. Davon waren 32 Italiener, vier Belgier, zwei Franzosen und ein Nordire. Sie kamen um bei einer Massenpanik vor Spielbeginn, als Fangruppen aufeinander losgingen und eine Mauer auf Turiner Anhänger stürzte. Die englischen Hooligans waren dabei derart betrunken, dass sie einige Stunden zuvor den Grand Place verwüstet hatten. Bewaffnet hatten sie sich auf einer benachbarten Baustelle. Die Verantwortung trugen die Uefa, der belgische Verband und die Behörden, die kein sicheres Stadion ausgewählt hatten und die die öffentliche Ordnung nicht aufrecht erhielten. Der Sektor Z, neben den englischen Hooligans, hätte etwa komplett mit neutralen Fans besetzt werden müssen. Stattdessen wurden in Italien viele Tickets auf dem Schwarzmarkt verkauft. Für 39 Unschuldige gab es keine Rückfahrkarte.

Die Engländer haben ihre Art, ein Stadion zu besuchen, nach Heysel nicht geändert. Das geschah erst nach dem Stadionunglück von Hillsborough 1989, beim FA-Cup-Halbfinale zwischen Liverpool und Nottingham Forest, das 96 Todesopfer forderte. Erst vor einem Monat, 27 Jahre danach, sahen die Familien der Opfer Gerechtigkeit. Die Jury, die über zwei Jahre die Beweise der Verteidigung abgearbeitet hatte, befand, dass es Fehler der Polizei waren, die den Tod von 96 Unschuldigen zumindest mit verursacht hatten. Ganz im Gegensatz zum ersten Urteil von 1991, das noch von „Unfalltoten“ sprach. Dabei wird oft vergessen, dass die Hillsborough-Tragödie ein Nachkomme Heysels ist.

Die Schuldigen an der Hillsborough-Tragödie

Weil es die Engländer nach 1985 bevorzugten, zu polemisieren, Ausreden zu erfinden und sich über den Ausschluss Liverpools vom Europapokal zu empören. Und ansonsten den Kopf in den Sand zu stecken. Die Organisatoren kamen dann, wie vier Jahre zuvor, ihren Aufgaben nicht nach, und die Polizei zeigte sich erneut unvorbereitet. Die Schuld am Heysel-Massaker ist ebenso offensichtlich, auch wenn viele versucht haben, sie zu vertuschen und den Konsequenzen auszuweichen. Die Schuldigen an der Hillsborough-Tragödie dagegen sind von einem institutionalisierten System vertuscht worden, das nun komplett unter Anklage steht, weil der englische Fußball heute als Vorbild für Sicherheit, Spektakel und Geschäftssinn angesehen werden will. Die Wahrheit lautet aber: Wenn man die Lektion aus Heysel früher gelernt hätte, die niemand begriffen zu haben scheint, wäre Hillsborough nur der Name eines Stadions geblieben.

Aber um einen Schritt zurückzugehen: Gab es Gerechtigkeit für das Heysel-Massaker? Daniel Vedovatto, der Anwalt der Opferfamilien, sagt, dass unter den Umständen und mit dem Recht, das damals in Belgien herrschte, das Maximum herausgeholt worden ist: Strafen für die Uefa, für einen Polizeikapitän und für die wenigen Hooligans, die aufgespürt wurden und Schadensersatz leisten mussten.

Aber die Strafe für die Uefa war historisch, sie hat Rechtsgeschichte geschrieben und den europäischen Fußball für immer verändert. Vor allem den Europapokal, der nun strenge Sicherheitsanforderungen für die Finalstadien erfüllen muss und nicht nur dort. Wenn uns das nicht mehr auffällt, liegt das daran, dass wir vergessen haben. 31 Jahre, das ist ein Leben, eine Leere, die nie wieder gefüllt wird.

Das Buch.

© promo

Heißt das, dass die Fans, die die Europameisterschaft in Frankreich verfolgen werden, sicher sind? Können sie beruhigt anreisen? Jenseits von terroristischen Attentaten werden die Fans so sicher sein, wie die Stadien sicher sind, weil die Polizei weiß, was sie zu tun hat und die Hooligans jeglicher Nationalität ausgeschlossen bleiben. Denn der Fußball scheint, leider, unfähig zu sein, Gegenmittel gegen die wiederkehrende Gewalt zu entwickeln. Heysel zu gedenken, bedeutet jedoch, sich der Verantwortung zu erinnern und das Andenken der Opfer zu respektieren. Es ist das einzige Gegenmittel, das bleibt, damit so etwas nie wieder vorkommt.

– Von unserem Autor Francesco Caremani: Heysel – The Truth/Le verità di una strage annunciata. Erschienen auf Englisch und Italienisch bei Bradipolibri Editore. 242/177 Seiten, gebundene Ausgabe 20,99 Euro.

Francesco Caremani

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