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Ein Formel-1-Auto fährt in Monaco vor einem Gucci-Schaufenster vorbei.

© afp

Großer Preis von Monaco: Das Festival der Unvernunft

Am Sonntag ist die Formel 1 in Monaco. Die Strecke ist seit 80 Jahren fast dieselbe – darin steckt Faszination und Risiko.

Von Christian Hönicke

Hermann Tilke sitzt am Hafenkai und blickt hinüber zur Boxengasse. Er hat das alles schon zigmal gesehen, aber er muss auch diesmal wieder den Kopf schütteln. „Dieses Gewusel, überall diese engen, dünnen Überführungen, das reinste Chaos“, sagt der Streckenarchitekt. Tilke hat das Gesicht der modernen Formel 1 geschnitzt, fast alle Kurse hat der Aachener entworfen. Es sind großzügige Erlebniswelten mit weiten Auslaufzonen und komfortablen Tribünen in sicherer Entfernung, wie es die Sicherheitsbestimmungen des Weltverbands Fia vorsehen.

Aus professioneller Sicht müsste Tilke sich mit Grausen von dem Bild abwenden, das er gerade vor sich sieht. Aber Tilke ist auch Racer. Und wie bei den meisten anderen Rennfahrern setzt bei ihm die Vernunft aus, wenn er in Monaco ist. Tilke schaut zur vollgestopften Boxengasse und lächelt. „Eigentlich ist das Shit, aber es ist auch geil. Das macht eben die Atmosphäre hier aus.“

Die Rennstrecke in Monaco ist der Grund, weswegen sie alle einmal Rennfahrer geworden sind. Der Grand Prix im Fürstentum ist so etwas wie das jährliche Treffen mit den Ahnen des Motorsports. Hinter der berühmten Rascasse- Kurve steht ein lebensgroßes Denkmal des fünfmaligen Weltmeisters Juan Manuel Fangio samt Wagen, und nirgendwo wäre der Held der Fünfziger besser platziert als hier. Denn viel geändert hat sich in Monaco seit Fangios Tagen nicht.

Genau genommen sieht die Strecke im Wesentlichen so aus wie schon beim allerersten Rennen vor mehr als 80 Jahren. Statt Strohballen gibt es Leitplanken, das Kurvengeschlängel am Hafen kam irgendwann hinzu, die Hafenschikane wurde umgebaut, der neue Tunnel ist noch länger, die Straßenbahnschienen und das Kopfsteinpflaster sind nicht mehr da, sonst ist irgendwie noch alles wie 1929. Mag der Rennsport andernorts in eine Sinnkrise gerutscht sein, hier ist er immer noch laut, schmutzig und gefährlich. Wahrscheinlich ist Monaco auch deshalb immer noch der Höhepunkt des Formel-1-Jahres.

Großer Preis von Monaco: Appartements entlang der Strecke werden für mindestens vierstellige Beträge vermietet

Auf den 3,3 Kilometern konservierter Rennsportsteinzeit darf sich auch die Generation Smartphone fühlen wie die Hasardeure der Vergangenheit. „Die aufregendste Stelle hier ist die Links-rechts-Passage oben am Casino“, sagt der dreimalige Weltmeister Sebastian Vettel. „Man kommt im siebten Gang über die Kuppe und sieht im ersten Moment gar nichts. Da muss man sich jedes Mal wieder überwinden.“ Die Steilpassage den Berg hinauf führt direkt unter den Balkonen der Appartements entlang, die am Wochenende für mindestens vierstellige Beträge an Grand- Prix-Touristen vermietet werden. Nirgendwo fahren die Ungetüme so dicht an den Zuschauern vorbei. Manchmal trennen nur ein, zwei Meter und ein bisschen Maschendraht Mensch und Maschine. Schwer zu sagen, wer sich dabei mehr in Gefahr begibt. Am Samstag konnte man vom Balkon aus nächster Nähe verfolgen, wie Adrian Sutil auf der Kuppe die Kontrolle über seinen Wagen verlor und in die Leitplanken knallte. Kurz zuvor hatte der Force-India-Pilot noch Folgendes gesagt: „Manche haben Angst vor der Wand und fahren mit ein paar Zentimetern mehr Abstand vorbei. Aber nur wer die Mauer streift, ist richtig schnell.“

Wort Angst darf man als Fahrer eigentlich nicht aussprechen. Es ist der psychologische Selbstzerstörungsknopf. Beinahe pikiert reagierten die Piloten deshalb auf die Aussagen des früheren Grand-Prix-Fahrers Ralf Schumacher, der Monaco für nicht mehr zeitgemäß hält. Die Fahrer würden das Spiel mitmachen, sagt Schumacher, aber natürlich hätten sie Sicherheitsbedenken. Er selbst habe die Strecke jedenfalls nie geliebt: „Ich hätte gut und gerne darauf verzichten können.“ Vielleicht rührt seine Abneigung von dem traumatischen Erlebnis aus dem Jahr 2000, als er sich in der engen ersten Kurve das Bein aufschlitzte. An exakt derselben Stelle hatte der Ferrari-Pilot Felipe Massa am Samstagmorgen einen heftigen Unfall. Der Brasilianer stieg aus, blickte finster auf das Wrack und lief wortlos zurück in die Boxengasse.

Sebastian Vettel gibt zu: "Das Risiko fährt imemr mit"

Wenn man Sebastian Vettel nach seinen Gefühlen zu dieser Strecke fragt, überlegt er kurz. Er redet von der Tradition, der speziellen Atmosphäre und sagt, er fühle sich nicht unsicher. Er gibt aber auch zu: „Das Risiko fährt immer mit. Ganz entschärfen wird man die Strecke nicht können. Soll man auch nicht, denn dann würde sie auch den Reiz verlieren. Wenn wir alle hier mit 30 km/h rumfahren würden, wäre das Spektakel nicht da.“ Man hoffe eben immer, dass nichts passiert. Alle hier hoffen das. Sie hoffen dass der große Unfall, der das Festival der Unvernunft in Frage stellen könnte, auch in diesem Jahr wieder einen Bogen um die Stadt macht.

Hermann Tilkes Blick wandert die Strecke entlang nach rechts hinauf zum Casino, unter dem der berühmte Tunnel liegt, aus dem die Karossen mit 280 Stundenkilometern zurück in den Hafen geschossen kommen. „Ich finde die Strecke jetzt nicht unbedingt unsicher“, sagt er, und es ist nicht ganz klar, ob gerade der Rennfahrer oder der Streckenarchitekt spricht. „Im Kern ist es zwar immer noch das Gleiche wie früher, im Detail gibt es aber viele Verbesserungen.“ Was man machen konnte, habe man gemacht. „Man hat zum Beispiel die Schikane langsamer gemacht und die Auslaufzone vergrößert. Die war früher richtig gefährlich.“ 1967 verbrannte der Ferrari-Fahrer Lorenzo Bandini in der Hafenschikane, er war das letzte Opfer der Strecke. Trotz aller Umbauten und Verbesserungen wird die Schussfahrt in den Hafen immer eine der gefährlichsten Stellen der Formel 1 bleiben. 1994 fiel Karl Wendlinger nach einem Crash in der Schikane ins Koma, 2011 gab es wegen eines Schlaglochs eine Serie schwerer Unfälle.

Nico Rosberg kennt diese prekäre Stelle. Er kennt die Gullydeckel und auch die Asphaltdelle oben vor der Mirabeau- Kurve, um die die Piloten seit Jahrzehnten einen Bogen fahren müssen. Der Mercedes-Pilot, der am Sonntag als Erster ins Rennen starten wird, ist in Monaco aufgewachsen. „Klar ist Monaco eine der gefährlichsten Strecken überhaupt“, sagt er. „Aber das Rennen ist Tradition, Monaco gehört einfach dazu.“

Rosberg hat sich wie die gesamte Formel 1 mit dem ewigen Platzmangel arrangiert. Jeder Meter ist kostbar an der Côte d’Azur, und die Steueroase Monaco platzt aus allen Nähten. Rosberg selbst wohnt in der Bucht hinterm Hafen in einem Appartementblock direkt am Strand, in dem auch viele andere Rennsportgrößen residieren, unter anderem sein Teamkollege Lewis Hamilton. Es gilt als das Haus mit den höchsten Quadratmeterpreisen weltweit. Doch schon bald könnte er in die zweite Reihe zurückrutschen.

Im Stadtteil Monte-Carlo wird heftig nachverdichtet, das Fürstentum wächst in die Höhe

Vor Rosbergs Tür sollen für mehr als eine Milliarde Euro sechs Hektar Land im Meer für ein neues Quartier aufgeschüttet werden. Nebenan wächst das Fürstentum in die Höhe, der Tour Odéon wird mit 170 Metern der erste echte Wolkenkratzer. Auch im Stadtteil Monte-Carlo wird heftig nachverdichtet. Alte Gebäude werden abgerissen, neue, höhere werden gebaut. Darunter werden neue Autotunnel ins Gestein getrieben. Größere Auslaufzonen für die Strecke kann sich auf diesem Immobilienbasar niemand leisten. „Man hat praktisch keinen Platz für Fehler hier“, sagt Sebastian Vettel.

Physisch ist die langsame Strecke gar nicht so anspruchsvoll. Monaco bedeutet vor allem Stress für den Kopf, der Kurs verzeiht nicht die kleinste Ungenauigkeit. „Wenn man die Linie manchmal nicht genau trifft oder ein wenig zu spät bremst, gibt es eigentlich nur eine Alternative“, sagt Vettel. „Die heißt: Leitplanke.“ Sein Kollege Nico Hülkenberg gibt deshalb für das Rennen am Sonntag (14 Uhr/RTL und Sky) folgende Losung aus: „Man muss hier Eier und Herz in die Hand nehmen.“

Hermann Tilke hat die Runde mit seinen Augen beendet. Er blickt nach links zur Rascasse-Kurve am Eingang der Startgeraden. Noch immer wird in der Boxengasse gewuselt, und in Tilke gewinnt am Ende doch der Streckenarchitekt die Oberhand. Kein Platz, keine Auslaufzonen, murmelt er, das würde so heute niemals mehr durchgehen. Dann schüttelt Hermann Tilke noch mal den Kopf, lächelt und sagt: „Ich bin ein bisschen neidisch, dass ich so etwas nicht mehr bauen darf.“

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