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Sport: Großer Traum

Von Helmut Schümann Eine schlechte Weltmeisterschaft war es, weil es schlechte Spiele gegeben hat? Vielleicht hat es schlechte Spiele gegeben, aber was sind schon schlechte Spiele?

Von Helmut Schümann

Eine schlechte Weltmeisterschaft war es, weil es schlechte Spiele gegeben hat? Vielleicht hat es schlechte Spiele gegeben, aber was sind schon schlechte Spiele? Meistens doch die, von denen die Trainer abschließend stets sagen, dass sie hoch zufrieden sind, weil ihre Mannschaften taktische Disziplin gewahrt haben.

Die Zuschauer bekommen davon allerdings selten etwas mit, weil sie kurz vor dem Einschlafen über all die taktische Disziplin heimgegangen sind oder den Fernseher ausgeschaltet haben. Mag ja sein, dass die Weltmeisterschaft in Asien den Fußballlehrern keine neuen Erkenntnisse gebracht hat. Mag auch sein, dass die großen Stars übermüdet waren von einer langen Saison und Favoriten dadurch patzten.

Und mag schließlich auch noch stimmen, dass Wohl und Wehe der Teams mitunter von Tagesform, Zufall und besonders von katastrophalen Schiedsrichterleistungen abhingen. Wenn man jedoch aus diesen Vorgaben ableitet, diese WM sei minderwertig gewesen, dann hat man den Fußball aufs bloße Spiel reduziert – und sich etwas hochnäsig erhoben über all die, die auch ohne taktische Innovationen ihre reichliche Leidenschaft am Fußball ausleben. Es war ja nicht so, dass uns in Japan und Südkorea Fußball-Slapstick auf Unterhaltungsniveau von sagen wir Zlatko geboten wurde.

Fußball beinhaltet weit mehr, sonst würden wir uns nicht aufregen, nicht hinschauen und ein Ereignis wie eine Weltmeisterschaft nicht als höchstrangiges Weltereignis zelebrieren. Und all das andere, das Fußball ausmacht, das Überraschende, das Unkalkulierbare, die Emotionen – davon haben wir viel bekommen:

Von den Brasilianern. Die beugen sich immer noch nicht dem Diktat des Zweckes, die sichern die eigenen Pfründe haarsträubend nachlässig ab – und begreifen das Spiel immer noch als Welt aus schwungvoller Zauberei. Brasilien steht im Endspiel.

Von den Koreanern. Die sind allen Mannschaften taktisch unterlegen und haben nur Wille, Lust und Tempo entgegenzusetzen. Das reicht für ein Kurzpassspiel auf höchstem Niveau – spielt es der SC Freiburg, dann schwärmen die Ästheten in den höchsten Tönen.

Von Türken, die sich emanzipiert haben von ihren deutschen Missionaren.

Von Senegal, England, Costa Rica, das waren doch keine Mannschaften, die gelangweilt haben.

Und, wollen wir Überraschungen im Fußball? Bitteschön, hier ist eine: Deutschland steht im Endspiel.

Und was war im Nachhinein schlimm daran, auf Frankreich frühzeitig verzichten zu müssen, weil es sich in aller Arroganz auf die Magie eines einzelnen, auf Zinedine Zidane, verließ? Auf Italien, dessen Trainer einen Catenaccio spielen lässt, der seine berühmte Rede „Eine Trainer ist keine Idiot“ dadurch stark relativiert? Doch, schon alleine unter dem sportlichen Aspekt, war es eine gute WM.

Zugegeben, es hat etwas gedauert, bis sich die Leidenschaft an ihr durchgesetzt hat gegen alles Artifizielle, das besonders in Japan in den Fußball gesteckt wurde. Danach aber lebte diese Weltmeisterschaft. Ausgehend von Südkorea, wo die Erfolge der Mannschaft ein Selbstbewusstsein aufgebaut haben, das eben nicht – vielleicht auch nur noch nicht – in Nationalismus umgeschlagen ist.

Am Ende, als Südkorea raus war, da herrschte in Seoul eine unbekümmerte Fröhlichkeit, ähnlich der in Berlin, als Christo einst den Reichstag verpackte. Und beim Jahrhunderte lang verfeindeten Nachbarn Japan war Neid, Wut und Häme nicht zu spüren. Nun ja, sagen wir: kaum zu spüren. Der gemeinsame asiatische Nenner, der war aber auf jeden Fall zu spüren. Oder die türkische Freude überall in Europa – will man die negieren, weil der Fußball nicht so schön war?Bleiben die Deutschen. Gegen das Argument, dass sie mit ihrem sich stets vom Ende her definierenden Fußball, der keine Mittel hat, aber heilige Zwecke, dass sie damit niemals hätten ins Endspiel kommen dürfen, gibt es wenig zu sagen. Sie sind aber nun einmal im Finale und folgten damit einer Art Naturgesetz. Wollen wir jetzt Naturgesetze blöde finden?

Oder ernsthaft: Das war am Anfang grausam – die Mannschaft, das Repräsentativ des Pisa-gebeutelten, Technik-schwächelnden Deutschlands am Ende der Spaßgesellschaft – und die hat sich am Ende im Halbfinale aus ihrer Mittelmäßigkeit erhoben. Nicht in schwindelnde Höhen, aber aufgebrochen ist sie. Auch das ist nicht das schlechteste Signal.

Schlechte Spiele? Eine großartige Weltmeisterschaft war es und für die, die dabei waren, ein Erlebnis von Ewigkeitswert.

Der Autor schrieb das Buch „Das Runde muss ins Eckige. Eine Geschichte der Bundesliga“, ISBN 3828601014.

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