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Vor dem Wasser: Brasiliens Branco noch mit ordentlich Kraft im Schuh.

© imago/AFLOSPORT

WM 1990: Bizarre Manipulations-Theorie: Großherzige Argentinier, betäubte Brasilianer und das „gesegnete Wasser“

Zwischen Argentinien und Brasilien wabert seit dem WM-Achtelfinale 1990 ein irrer Verschwörungsskandal. Mittendrin statt nur dabei: Diego Maradona.

Der Videobeweis sorgt für erstaunlich wenig Ärger bei dieser WM. Ist das also das Ende all der Vorwürfe, Gerüchte und Beschuldigungen? Nicht unbedingt. Denn Vermutungen über dunkle Machenschaften müssen nicht zwingend mit falschen Abseitsentscheidungen oder nicht gegebenen Toren zu tun haben. Die Brasilianer zum Beispiel sind unerreichte Meister darin, Erklärungen für ihr Scheitern zu finden, die überhaupt nichts mit dem Schiedsrichter zu tun haben.

Besonders bizarr ist eine Theorie, die sich um die WM 1990 dreht. Im Achtelfinale traf Brasilien auf den Rivalen Argentinien, der eine hundsmiserable Elf stellte, die nur Diego Maradona, Claudio Caniggia und neun klobige Maurermeister zu bieten hatte. Die Männer in Gelb dominierten bei 34 Grad im Schatten die Partie über weite Strecken, scheiterten aber einmal am Pfosten, zweimal an der Latte und ungezählte Male an Torwart Sergio Goycochea.

Trinkpause, von der sich die Brasilianer nicht erholten

Dann durften die überforderten Argentinier endlich verschnaufen, weil Maradona verletzt am Boden lag. Während die medizinische Abteilung den Spielmacher versorgte, verteilte der Masseur Trinkflaschen, die die Argentinier großherzig an ihre Gegner aus Brasilien weitergaben. Als das Spiel fortgesetzt wurde, war es plötzlich ein anderes.

Die bis dahin so überlegenen Brasilianer fanden keine Lücke mehr in der Deckung des Gegners. Zehn Minuten vor dem Ende spielte Maradona durch die halbe brasilianische Elf hindurch einen Pass auf Caniggia – und es stand 1:0. Zwei Tage später erwähnte Brasiliens Mittelfeldmann Branco, er habe sich plötzlich schlapp gefühlt, nachdem er einige Schlucke aus der argentinischen Wasserflasche genommen habe. Seither ist Fußball-Brasilien überzeugt, dass die Argentinier mit einem heimtückischen Trick die eigenen Heroen, oder zumindest einen von ihnen, unter Drogen gesetzt haben.

Was wie eine hanebüchene Ausrede klingt, bekam im Dezember 2004 neue Nahrung. Da gab Diego Maradona ein Interview, in dem er andeutete, er habe von einem Plan gewusst, den Brasilianern Schlafmittel zu geben. Obwohl er hinzufügte: „Es ist nicht meine Schuld, dass sie zwanzig Mal frei vor dem Tor standen und vergeben haben“, entfachte er die Diskussion neu. Natürlich nur unter den Leuten, die überall Verschwörungen wittern. Denn wer konnte zu jener Zeit noch etwas ernst nehmen, das Maradona sagte?

Vier Jahre nach Maradonas "Hand Gottes"

Einen Monat später wurde Carlos Bilardo, der 1990 Trainer der Argentinier gewesen war, von dem argentinischen Magazin „Veintitres“ gebeten, die Sache klarzustellen. Zum Entsetzen der Reporter antwortete er: „Ich sage nicht, dass es nicht passiert ist.“ In der Folge versuchte Bilardo alles, um die Sache herunterzuspielen, aber er konnte nicht verhindern, dass ganz Brasilien nun vollends überzeugt war, betrogen worden zu sein. „Egal ob das Ganze schon 14 Jahre oder erst 14 Tage zurückliegt, die Fifa sollte an Bilardo und dem Masseur ein Exempel statuieren“, schimpfte Sebastião Lazaroni, der Brasilien 1990 trainiert hatte.

In Argentinien hat die Affäre inzwischen ihren eigenen Namen, sie ist als „Agua Bendita“-Skandal bekannt. Das ist der spanische Ausdruck für Weihwasser und bedeutet wörtlich „gesegnetes Wasser“. Offenbar will man damit andeuten, dass Argentinien nur vier Jahre nach der „Hand Gottes“ schon wieder Beistand von oben bekam. Klar ist: Gegen eine solche Verschwörung ist auch der Videobeweis machtlos.

Uli Hesse

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