zum Hauptinhalt

Sport: Gurus für Völler

Nach der Medienschelte scharen sich Bundesliga-Manager und Spieler eng um ihren Teamchef

Von Sven Goldmann

und Michael Rosentritt

Dortmund. Der Beistand wurde hereingereicht auf einem gefalteten Zettel. Teamchef Rudi Völler verteidigte gerade wort- und gestenreich seine Kritik an der Kultur der Kritik, da nahm der Sprecher des Deutschen Fußball-Bundes die Botschaft in Empfang und gab sie wieder. Der ungefähre Inhalt: Mach weiter so, Rudi, wir stehen zu hundert Prozent hinter dir! Absender war der „Arbeitskreis Nationalmannschaft“, namentlich die Herren Hoeneß (Uli und Dieter), Calmund und Assauer. Rudi Völler konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Die Umfrage des Internet-Anbieters Sport1 brauchte er da gar nicht mehr zu lesen. 74 Prozent der Befragten hatten sich hinter Völler gestellt.

Wenn es in diesen Tagen aber auch noch Gurus gibt, die einem den Rücken stärken, ist das besonders schön, wird sich Völler gedacht haben. Gurus – so hatte Völler am Samstagabend mit unüberhörbar abfälligem Unterton jene einstigen Fußballstars genannt, die sich oft und laut zu Wort melden, wenn es um schwere Schicksalsschläge geht, wie das 0:0 in der EM-Qualifikation gegen Island einer war.

Nun stehen also auf der einen Seite: die Manager von Bayern München, Hertha BSC, Bayer Leverkusen und Schalke 04. Sie sind in ihren Klubs direkt verantwortlich für das Tagesgeschäft und sind mehr als andere an der strategischen Aufwertung des Produktes Fußball interessiert. Gemeinsam bilden sie den Arbeitskreis Nationalmannschaft. Auch Rudi Völler zählte zu ihnen, bis er vor drei Jahren seinen Job als Sportdirektor in Leverkusen aufgab und den des Teamchefs der Nationalmannschaft antrat. Auf der anderen Seite sammeln sich Experten wie Franz Beckenbauer, Günter Netzer, Paul Breitner oder Udo Lattek, die „ja irgendwie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen“, wie es am vergangenen Samstag aus Völler heraussprudelte. Breitner schoss dementsprechend scharf zurück und meinte: „So etwas darf sich ein Teamchef absolut nicht erlauben.“ Völler wiederum will nicht von seiner „Art, wie ich die Mannschaft führe, wie ich sie kritisiere und lobe, abrücken“. Er werde sich vor die Mannschaft stellen, auch „in der Hoffnung, dass ich etwas zurückbekomme“.

Manch einer wollte in dieser Aussage gleich ein Bekenntnis entdeckt haben – es habe sich mithin keineswegs um einen spontanen Ausbruch gehandelt, sondern um einen wohlkalkulierten Motivationsschub, mit dem Völler die deutsche Mannschaft aus der in Island gepflegten Lethargie wecken wollte. Schließlich geht es am Mittwoch in Dortmund gegen Schottland, bei einem Sieg wäre die Qualifikation für die Europameisterschaft 2004 in Portugal so gut wie geschafft. Völler lachte und war wohl auch ein wenig geschmeichelt. Nein, „diese Blume stecke ich mir nicht an“, aber im Nachhinein könne man schon sagen, „dass es gepasst hat, vielleicht habe ich der Mannschaft ein bisschen geholfen, indem ich mal die Luft rausgelassen habe“. Er glaube, die Seinen „im Ehrgefühl gekitzelt“ zu haben.

Aus dem inneren Zirkel der Nationalmannschaft war denn auch zu hören, dass Völler seinen Auftritt keineswegs geplant hatte. Die Abrechnung mit den Gurus habe ihm schon lange auf der Seele gelegen, und nirgendwo habe diese so plakativ vorgetragen werden können wie bei einem Live-Interview im Fernsehen. „Aber dass es solchen Wirbel gibt, hätte ich nicht gedacht“, sagte Völler. Intern übe er an den Leistungen seiner Mannschaft sehr wohl harte Kritik, aber in der Öffentlichkeit wolle er sich nun mal nicht für dumm verkaufen lassen. Auch diesmal sei er wie immer nach dem Spiel ins Fernsehstudio gegangen. Dann aber habe Moderator Gerhard Delling von sich aus das Stichwort vom „Tiefpunkt der Unterhaltung“ gegeben, und fortan sei alles aus dem Teamchef herausgesprudelt, was sich schon lange angestaut habe. So kam es jedenfalls bei der Mannschaft an. Die meisten Spieler waren direkt nach dem Spiel noch in der Kabine von ihren Freundinnen oder Freunden über Handy per SMS über Völlers Auftritt informiert worden. Das anschließende gemeinsame Abendessen verlief völlig normal.

„Es gab keinen Szenenapplaus“, sagte der Dortmunder Christian Wörns, der auf Island noch die besten Kritiken bekommen hatte. „Ein Bogen um Rudi wurde aber auch nicht gemacht.“ Die Mannschaft habe Völlers Auftritt durchweg positiv aufgenommen. Was mehr überrascht, ist, dass sich die Spieler inhaltlich mit dem Thema beschäftigt haben. „Davon können Sie ausgehen“, erzählte Wörns. Im Wesentlichen teilt die Mannschaft aber die Meinung Völlers.

Jetzt also liegt der Ball wieder bei den Spielern. „Jeder Einzelne von uns weiß, wie wir jetzt im Mittelpunkt stehen“, sagte der Münchner Tobias Rau, der in Island verletzungsbedingt zugeschaut hatte und gegen die Schotten sehr wahrscheinlich auflaufen wird. Wer noch spielen wird, will Rudi Völler in Einzelgesprächen herausfinden. „Ich muss sehen, wer dieser Herausforderung gewachsen ist.“

Hat Völler mit seiner Medienschelte Recht? Diskutieren Sie mit unter: www.tagesspiegel.de/Voeller

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false