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Kaum zu bändigen. Selbst der Österreicher Hermann Maier (hier bei der Abfahrt 2009) hatte immer auf der Streif zu kämpfen.

© Imago

Hahnenkamm-Abfahrt: Geliebte und gefürchtete Streif

Am Samstag steigt zum 75. Mal die Hahnenkamm-Abfahrt in Kitzbühel. Auch wenn sie wegen Nebels auf einer verkürzten Strecke ausgetragen wurde – um die Streif ranken sich so oder so viele Mythen.

Nirgendwo sonst erfordert die Startpassage so viel Mut. Nirgendwo sonst bekommen die Zuschauer im Zielraum vom letzten Streckenabschnitt so viel mit wie am Fuße des Hahnenkamms. Nirgendwo sonst ranken sich so viele Mythen um ein Skirennen. Mittlerweile gibt es sogar einen Kinofilm dazu. Wenn die Athleten am Samstag zum 75. Mal die legendäre Abfahrt auf der Streif herunterrasen, werden weitere Geschichten hinzukommen – zu denen von Joseph Blatter, Christian Neureuther, Hermann Maier sowie vielen weiteren glorreichen und tragischen Helden.

1969 musste sich der Österreicher Karl Schranz zunächst den Sieg mit dem Schweizer Jean-Daniel Dätwyler teilen, obwohl die Uhren bei dessen Lauf zu spät gestoppt wurden. Für die Zeitnahme war damals ein gewisser Joseph Blatter verantwortlich. Der Schweizer, mittlerweile in keiner unwichtigen Position beim Fußball-Weltverband, lief Schranz bis ins Hotel nach und dann wurde er zum alleinigen Sieger erklärt.

Zehn Jahre später verhalfen der Abfahrer Sepp Ferstl (Vater des gleichnamigen aktuellen Rennfahrers) und der Slalomkünstler Christian Neureuther (Papa des Slalom-Weltcupersten Felix) Deutschland zu einem Doppelerfolg in Kitzbühel. Laut Neureuther nahmen die beiden damit „Rache für Cordoba, nachdems’ uns ein halbes Jahr wegen unserer Fußballer g’hänselt haben“, sagte er damals. Doch die Österreicher beantworteten diese Schmach mit einem Dreifachtriumph. 1984 siegte Franz Klammer vor Erwin Resch und Anton Steiner.

Immer wieder gab es an der gefährlichen Abfahrt auch Kritik – und ungewöhnliche Reaktionen darauf. 1981 wurden Austräger der österreichischen Zeitungen „Kurier“ und „Krone“ aus Kitzbühler Lokalen geworfen, weil beide Blättern deftige Schlagzeilen gegen die Pistenführung veröffentlicht hatten. Erst als die Streif drei Tage später vier Schwerverletzte gefordert hatte, wurde die Kritik akzeptiert. Auch 1989 wurden die Bedenken des Trainers Helmut Girardelli ignoriert. So wäre der Kanadier Brian Stemmle just an jener Stelle, vor der Girardelli gewarnt hatte, fast verblutet. Stemmle prozessierte später erfolgreich gegen Kitzbühel.

Die Streif lieferte traurige aber auch lustige Anekdoten

Doch die Streif lieferte ebenso lustige Anekdoten. So wie 1997, als der Österreicher Fritz Strobl den bis heute gültigen Streckenrekord erzielte. Doch nur wenige Stunden später wurde ihm vom stiernackigen Türsteher einer Nobel-Disco mit den Worten „Da könnt’ ja jeder kommen“ der Einlass verwehrt.

Zu ihren Abfahrtsläufern hatten die Österreicher sowieso stets eine besondere, wechselhafte Beziehung. 1998 machte sich Hermann Maier Kitzbühel zum Feind. Auf Anraten seines Konditionstrainers Heinrich Bergmüller verweigerte der Herminator seinen Start. Begründung: Er müsse sich doch schonen für die Olympischen Winterspiele in Nagano. Das klappte dann sogar. Maier gewann dort zweimal Gold. Erst fünf Jahre später versöhnten sich Kitzbühel und Maier. Ihm zuliebe ermöglichten die Organisatoren trotz widrigster Bedingungen ein Montagsrennen. Und Maier nutzte die Abfahrt zum Comeback-Sieg nach seinem Motorradunfall.

Ebenso bemerkenswert war Hannes Reichelts Sieg im vergangenen Jahr. Von Schmerzen geplagt, kehrte der Österreicher nur deshalb im Starthaus nicht um, weil man ihn sonst für feige gehalten hätte. Im Ziel konnte er bei der Gratulationstour kaum noch stehen. Reichelts Erfolg auf der Streif zwei Tage vor einer Bandscheiben-Operation ist in die Kategorie Wunder einzureihen.

Ähnlich wie das Überleben einiger schwer gestürzter Fahrer am Hahnenkamm. Der Schweizer Daniel Albrecht lag 2009 drei Wochen lang im Koma, fast zwei Jahre später kehrte er in den Weltcup zurück. Der Österreicher Hans Grugger war 2011 nach einem Sturz vier Wochen auf Intensivstation und musste daraufhin seine sportliche Karriere beenden. Nur den Christophorus-Rettern, sagt Grugger demütig, verdanke er, „dass es mich heute noch gibt“.

Wolfgang Winheim

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