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Dänemarks Star Mikkel Hansen.

© dpa

Handball-EM: Gastgeber Dänemark: Nur der Titel zählt

Bei der Europameisterschaft im eigenen Land erwarten die Dänen nur eines von ihrer großen Handball-Generation: den EM-Titel. Doch der Druck auf Team und Trainer ist genau deswegen der größte Gegner für den Gastgeber.

Diesen verfluchten 27. Januar 2013, sie würden ihn am liebsten aus dem kollektiven Sportgedächtnis des Landes tilgen. War ja auch eine Abreibung historischen Ausmaßes für die Dänen, zumal in ihrem Nationalsport. Mit 19:35 unterlag die Handball-Nationalmannschaft seinerzeit im WM-Finale gegen Spanien – und im Grunde kann man sich bis heute darüber wundern, wie dieses hochveranlagte dänische Team das Endspiel gegen destruktiv-hölzerne Gastgeber überhaupt und dann auch in besagter Höhe verlieren konnte. „Das war ein Debakel, dafür müssen wir uns entschuldigen“, sagte Welthandballer Mikkel Hansen damals.

Ziemlich genau ein Jahr später bietet sich Dänemarks Handballern nun diese Gelegenheit. Bei der am Sonntag gestarteten Europameisterschaft spielen sie diesmal mit Heimvorteil im Rücken, weshalb knapp sechs Millionen Landsleute nicht weniger erwarten als den dritten Titel nach 2008 und 2012. Beim Auftaktsieg gegen Mazedonien am Sonntag (29:21) deutete sich die Begeisterungsfähigkeit der Dänen an, in der seit Wochen ausverkauften Arena in Herning sorgten 14 000 Besucher für einen Höllenlärm, darüber hinaus verfolgten 1,7 Millionen Dänen die Begegnung am Fernseher. „Die Menschen hier drehen total durch und auch die Medien sind ziemlich verrückt“, sagt Torsten Laen. Der 152-fache ehemalige Nationalspieler und langjährige Kapitän von Bundesligist Füchse Berlin lebt mittlerweile im 100 Kilometer vom Vorrundenspielort entfernten Kolding und analysiert die Spiele des dänischen Teams für ein großes Internetportal. Laen sagt: „Alles andere als der Turniersieg wäre eine riesige Enttäuschung. Die Herausforderung besteht darin, mit dieser Erwartungshaltung fertig zu werden.“ Bislang ist das den Dänen gelungen. Durch einen 33:29-Sieg gegen Österreich am Dienstagabend schaffte die Mannschaft von Trainer Ulrik Wilbek noch vor dem abschließenden Spiel gegen Tschechien den Einzug in die Hauptrunde.

Für den Coach ist die EM im eigenen Land von noch größerer Bedeutung als ohnehin schon. Wilbek ist und bleibt zwar unabhängig vom Turnierausgang ein Nationalheld, weil er es als weltweit erster Trainer geschafft hat, sowohl mit der Männer- als auch mit der Frauennationalmannschaft des Landes den EM-Titel zu gewinnen. „Aber wenn er dieses Turnier jetzt auch noch gewinnt, dann bauen wir ihm in jeder Stadt ein Denkmal“, sagt Laen. Für Wilbek wäre es zweifellos der Höhepunkt einer großen Laufbahn, der 54-Jährige hat nach neun Jahren im Amt bereits seinen Abschied im Sommer angekündigt.

Wilbeks letzte Mission ist auch seine schwierigste. Abgesehen vom öffentlichen Druck hängt das mit dem Umstand zusammen, dass er die beste dänische Handball-Generation der Geschichte verantwortet. „Jede seiner Entscheidungen wird genau beäugt“, sagt Gudmundur Gudmundsson, „deshalb will ich im Moment wirklich nicht mit ihm tauschen.“ Genau das wird im Juni allerdings passieren, wenn Gudmundsson seine Tätigkeit bei Bundesligist Rhein-Neckar Löwen beendet und Wilbeks Job übernimmt. Entsprechend detailverliebt hat sich der Isländer mit seinem künftigen Team beschäftigt. „Dänemark hat eine unglaublich ausgeglichene Mannschaft“, sagt Gudmundsson und die Statistiken bestätigen ihn: Zwei der letzten drei EM-Turniere haben die Dänen gewonnen, bei den letzten beiden Weltmeisterschaften belegten sie jeweils den zweiten Platz. Und vom Personal her ist die mit acht Bundesliga-Profis besetzte Mannschaft so aufgestellt, „dass sie auch in den nächsten Jahren um Titel mitspielen kann“, sagt der Isländer. „Das hat bei meiner Entscheidung natürlich auch eine gewichtige Rolle gespielt.“

Auch Torsten Laen sieht in der Homogenität die größte Stärke des Titelverteidigers. In Dänemark hat man nämlich genau das geschafft, was in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt versäumt wurde: adäquate Nachfolgeregelungen für den Fall des Karriereendes großer Spieler. Mit Hans Lindberg, Anders Eggert oder Michael Knudsen finden sich erfahrene Kräfte klassischer dänischer Prägung – gute Technik, hohes Spielverständnis – ebenso wieder wie hochtalentierte junge Männer Anfang 20, die in schöner Regelmäßigkeit auch in der Bundesliga Abnehmer finden. „Die große Stärke des Teams ist seine Unberechenbarkeit – es ist nicht auf eine Person ausgerichtet“, sagt Laen. Selbst wenn der Star der Dänen, Rückraumspieler Mikkel Hansen vom neureichen französischen Spitzenklub Paris St. Germain, einen gebrauchten Tag erwischt, bedeutet das nicht automatisch den Niedergang des Teams. Zudem können sich die Dänen immer auf einen Mann verlassen, der mit 25 Jahren schon so herausragend hält wie im besten Torhüteralter ab 30 aufwärts: Niklas Landin.

„Ich glaube, dass die Mannschaft mit dem Druck umgehen kann“, sagt Laen. Mit Gewissheit lässt sich das zwar erst nach dem Finale am 26. Januar sagen. Zumindest das Datum scheint aber schon mal ganz passend zu sein, um das Debakel gegen Spanien vergessen zu machen.

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