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Sport: Handball: Quälen auf einem Bein

Alfred Gislason nennt es "die Reißleine ziehen". Andere sagen dazu auf Tauchstation gehen - vom Sinn her ist beides gleich.

Alfred Gislason nennt es "die Reißleine ziehen". Andere sagen dazu auf Tauchstation gehen - vom Sinn her ist beides gleich. Die Handballer des SC Magdeburg und ihr isländischer Trainer wollten sich lediglich völlig abgeschottet auf das große Finale um die Deutsche Meisterschaft in der Bördelandhalle (heute 15.30 Uhr/live ZDF) gegen die SG Flensburg-Handewitt vorbereiten. "Zuletzt wurde der Druck von außen zu viel, störte Training und Vorbereitung. Wir mussten die Notbremse ziehen, denn am Sonntag wollen wir Geschichte schreiben. Es geht um die Meisterschale, nicht um einen Medienpreis. Niemand will sich hinterher vorwerfen lassen, nicht alle Konzentration dem Finale gewidmet zu haben", wird Steffen Stiebler in der "Volksstimme" zitiert. Die Lösung: Ein Trainingscamp außerhalb von Magdeburg wurde bezogen.

Trotz der klaren Niederlage bei der SG Wallau-Massenheim (25:31) am vergangenen Mittwoch im vorletzten Saisonspiel ist der SC Magdeburg in der Lage, sich ein Nachwende-Traum zu erfüllen. Zu DDR-Zeiten war man zwar Meister, Europacupsieger und auch Europameister für Klubmannschaften, doch der Erfolg unter Bundesliga-Bedingungen würde ungleich schwerer wiegen. Deshalb bedankten sich die Spieler am Mittwoch bei TV Großwallstadt, der mit seinem Erfolg über den TBV Lemgo (22:19) den Showdown in eigener Halle erst ermöglicht hatte. Magdeburgs Torhüter Henning Fritz schickte gleich über Handy ein Dankeschön an seinen Nationalmannschafts-Kollegen Christian Ramota, der ausgerechnet in der kommenden Spielzeit von Großwallstadt nach Lemgo wechseln wird. Und auch Gislason gab zu, dass ihm danach ein riesiger Stein vom Herzen gefallen sei: "Jetzt ist alles vorbei. Elf Monate harte Arbeit umsonst, habe ich gedacht. Hinterher hätte ich heulen können vor Glück."

Zwar ging durch den gleichzeitigen Flensburger Erfolg gegen Essen (33:23) die Tabellenführung verloren, aber mit 8000 heißblütigen Fans im Rücken kann dieser Ein-Punkte-Rückstand noch umgebogen werden. Nie war ein Heimvorteil für den SCM wichtiger, was auch 17 der 20 Bundesliga-Trainer veranlasste, dieses Team als den klaren Favoriten zu benennen. Wer von den Fans das Spiel nicht live verfolgen kann, für den sind in der Stadt Großbildleinwände aufgestellt worden. Alles ist angerichtet für ein Fest, auf das Unzählige in der handballverrückten Stadt zehn Jahre lang hingearbeitet haben. Es darf einfach nichts schiefgehen gegen die Flensburger, die vier Mal in den zurückliegenden Jahren das Nervenflattern bekamen und jedesmal als Vizemeister verabschiedet wurden. Daher lautet das Motto am Ende eines Saison-Marathons, nach dem bei einigen SCM-Spielern teilweise 90 Spiele in den Knochen stecken werden, alle Verletzungsqualen zu unterdrücken.

Vor allem Oleg Kuleschow, seit Wochen am Knie verletzt, wird sich noch einmal quälen. "Für den Titel lohnt sich das", sagt der Russe, während Manager Bernd-Uwe Hildebrandt ihn dafür besonders würdigt. "Ohne Oleg wären wir schon lange nicht mehr im Rennen um die Meisterschaft", betont er. "Manche Mitspieler sollten sich die Frage stellen, warum er mit einem Bein noch besser spielt als andere mit zweien. Auch den nach dieser Saison zum THW Kiel wechselnden Fritz plagt seit geraumer Zeit eine Oberschenkel-Zerrung. Egal, meint auch er, "im Spiel der Spiele merke ich das ohnehin nicht". Wenn es mit dem ersehnten Titel klappt, schon gar nicht.

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