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Sport: Haydi Almanya!

Von Susanne Güsten Istanbul. Mit hoch gereckter Faust demonstriert ein schnauzbärtiger Türke am Bosporus-Ufer die Haltung, die er beim Halbfinalspiel am Dienstag einzunehmen gedenkt: „Haydi Almanya!

Von Susanne Güsten

Istanbul. Mit hoch gereckter Faust demonstriert ein schnauzbärtiger Türke am Bosporus-Ufer die Haltung, die er beim Halbfinalspiel am Dienstag einzunehmen gedenkt: „Haydi Almanya!“ Auf geht’s, Deutschland. Das Hoffen und Sehnen von Millionen türkischer Fans ist in erster Linie auf die Begegnung der eigenen Nationalmannschaft mit Brasilien am Mittwoch gerichtet. Doch am Dienstag werden die Türken fast ausnahmslos der deutschen Elf die Daumen drücken. Dass die Türkei selbst ins Finale kommt, scheint den Fans seit dem Sieg über Senegal nicht mehr unmöglich - und als Gegner sähen sie dort niemanden lieber als den großen Bruder Almanya.

Ein WM-Finale zwischen Deutschland und der Türkei wäre die Erfüllung türkischer Fußballträume, die einzig noch durch den Sieg der türkischen Mannschaft übertroffen werden könnte. „Ein Sieg über Deutschland wäre einfach noch ruhmreicher als ein Sieg gegen Korea“, erklärt der Schnauzbärtige seine Einstellung, während er auf die nächste Fähre zum asiatischen Ufer wartet. Ein Handwerker, der gerade am Fährhaus herumbastelt, kann dem nur zustimmen: „Gegen Deutschland wäre das eine noch größere Sache“, meint er - eine Auffassung, die auch alle anderen Umstehenden teilen. „Die Deutschen sind die stärkere Mannschaft, und wir wollen gegen das stärkste Team spielen - und gewinnen“, sagt ein Fischer.

„Es wäre die größere Ehre“, ergänzt der Straßenfeger. „Den Deutschen fühlen wir uns näher“, sagten drei Frauen auf einer Bank vor dem Fährhaus. „Das sind doch unsere Freunde - und das würde das Spiel noch viel aufregender machen." Wie aufregend ein solches Spiel für die Türken würde, lässt die Erinnerung an die letzte Begegnung der beiden Nationalmannschaften erahnen. „Gnädiger Gott, was für ein grenzenloses Glück“, schrieb ein Kommentator der Zeitung „Hürriyet“ damals in seiner Kolumne. Das 1:0 in jenem EM-Qualifikationsspiel in Bursa am 10. Oktober 1998 ist jedem türkischen Fan tief in die Seele eingraviert, denn es war der erste Sieg gegen Deutschland seit 1951. „Ich torkele herum wie im Traum, ich weiß nicht einmal mehr, was ich schreibe“, schrieb der „Hürriyet"-Kolumnist Sanli Kaptan. Auf den Straßen von Istanbul wurden damals vereinzelt herumlaufende Deutsche von wildfremden Türken geherzt, geküsst und umarmt. „Deutschland ist gut, die Türkei ist am besten“, trösteten die freudestrahlenden Fans ihre überraschten Gäste: Nicht etwa aus Feindseligkeit gegen die Deutschen wollen die Türken sie unbedingt besiegen, sondern weil Deutschland ihnen wie kein anderes Land als Maß aller Dinge gilt. Von der Waffenbrüderschaft mit Preußen über den millionenfachen Bevölkerungsaustausch durch Gastarbeiter und Touristen bis hin zur deutschen Fürsprache bei der türkischen EU-Kandidatur - viel tiefer als die Deutschen empfinden die Türken das besondere Verhältnis zwischen beiden Völkern.

Ein weiteres halbes Jahrhundert werde das türkische Team bis zum nächsten Sieg gegen Deutschland aber nicht verstreichen lassen, kündigte der damalige Nationaltrainer Mustafa Denizli nach dem Sieg in Bursa an - doch die Fans glaubten sich damals schon auf dem Gipfel des Erreichbaren. „Glücklicher kann kein Mensch werden, glaube ich“, schrieb der Sportjournalist Turgay Seren. „Alle anderen Spiele der türkischen Fußballgeschichte sind vergessen, wir werden immer auf dieses Spiel und seine Helden zurückblicken.“ Doch bei dieser WM blicken die Türken wieder voraus - zum Finale.

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