zum Hauptinhalt

Sport: Heimatsuche in Leipzig

Die Handballer von Concordia Delitzsch sind in die Bundesliga aufgestiegen – die Fans bleiben seither zu Hause

Zwei Stunden noch. Das Debüt des SV Concordia Delitzsch in der Handball-Bundesliga rückt näher, die Straßen sind leer, wahrscheinlich ist die ganze Stadt in der Sporthalle versammelt. Nein, ist sie nicht. Die Delitzscher sind im Biergarten, im Schwimmbad oder sonstwo, aber beim Handball? Von Euphorie ist hier wenig zu spüren. 300 Dauerkarten hat Concordia Delitzsch verkauft. In der Zweiten Liga waren es noch 850.

Vor vier Monaten ist die Mannschaft aus der sächsischen Kreisstadt in die stärkste Handballliga der Welt aufgestiegen. Die 27000 Einwohner sind stolz, aber auch ein wenig beleidigt, denn Concordia ist für das Abenteuer Bundesliga umgezogen, vom heimischen Sport- und Kulturforum in die Arena Leipzig. Entsprechend gleichgültig gibt sich Delitzsch. Ein Herr Kriebel von der FDP fordert alle 50 Meter großflächig: „Weg mit der Ökosteuer!“ Ein Plakat von den Handballern findet sich erst nach längerem Suchen. Es hängt im Schaufenster der Sparkasse. Die Sparkasse ist einer der sieben Hauptsponsoren des Klubs.

Von Delitzsch nach Leipzig ist es eine Viertelstunde mit der Bahn und doch eine gefühlte Weltreise. Es waren wirtschaftliche Argumente, die für den Umzug sprachen. Delitzsch hat nicht viel außer dem Handball, dem eigenen Autokennzeichen (DZ) und der Schokolade, die schon zu DDR-Zeiten berühmt war. Zukunftsträchtige Jobs gibt es nur in Leipzig. BMW hat 1,3 Milliarden Euro in ein neues Werk und 10 000 Arbeitsplätze investiert. Dort wird die neue 3er-Reihe produziert. Die Posttochter DHL baut den Flughafen Halle-Leipzig zu einem Drehkreuz für weltweite Paketbeförderung aus. In Delitzsch war es schon ein großer Erfolg, dass 250 Arbeitsplätze im alten Bahnwerk erhalten blieben. Zweimal hatte die Deutsche Bahn das Werk europaweit ausgeschrieben, in letzter Minute fand sich eine regionale Lösung mit einem Leipziger Träger. Die Arbeitslosenquote im Kreis liegt bei 19,1 Prozent.

Das Sport- und Kulturzentrum Delitzsch fasst 1000 Zuschauer, die Arena siebenmal so viel. Den Aufstieg feierte die Mannschaft auf dem Rathausbalkon – vor 500 Fans. „Das Potenzial hier ist ausgereizt“, sagt Manager René Wachsmuth. Jetzt kokettieren die Delitzscher damit, „dass wir das mit Abstand am schlechtesten besetzte Team der Liga sind“ (Kapitän Erik Göthel). Der Etat beträgt 1,2 Millionen Euro, nicht einmal ein Viertel von dem des Deutschen Meisters THW Kiel. Mit zwei Niederlagen in den ersten beiden Spielen hat Concordia schnell den Ruf als Favorit auf den Abstieg bestätigt. Heute wagt der Drittletzte gegen den Vorletzten Wilhelmshaven ein Experiment: eine Doppelveranstaltung mit den Frauen des HC Leipzig, die gegen die TSG Ketsch spielen. Mindestens 3500 Zuschauer sollen kommen.

2561 waren es zum Delitzscher Bundesligadebüt am Sonntag. „Es hätten ruhig ein paar mehr sein können“, findet Kreisläufer Alexander Pietzsch. Das Spiel ging denn auch verloren, 25:28 gegen den TuS Nettelstedt-Lübbecke, der als Vorjahres-Elfter nicht gerade zur Elite zählt. Hätte es vor den fanatischen Fans daheim in Delitzsch zum Sieg gereicht? „Das kann man nicht vergleichen“, sagt Rückraumspieler Marco Bergelt. „Die Stimmung war okay. Aber wenn wir so weiterspielen, hat sich das Thema Leipzig ohnehin bald erledigt.“

Im umgekehrten Fall könnte es mit der Marke Delitzsch bald vorbei sein. In der „Kreiszeitung“ heißt es bereits, in Leipzig sei der Verein unter dem Namen Delitzsch nicht willkommen. Eine Umbenennung sei unvermeidlich und für die Fans „ein Schlag ins Gesicht, wenn sie plötzlich nicht für Delitzsch, sondern für ein Leipziger Team trommeln sollen“. Manager Wachsmuth winkt ab: „In dieser Saison heißt die Mannschaft Delitzsch.“ Und danach? „Das hängt auch davon ab, wie die Mannschaft angenommen wird. Also, ich sehe das ganz optimistisch, was meinen Sie?“ René Wachsmuth lebt seit drei Monaten in Delitzsch, vorher hat er für das Nachwuchsteam der Berliner Eisbären gearbeitet. Den Job in Delitzsch hat er über eine Blindbewerbung bekommen. „Vom reinen Handball-Geschäft verstehe ich nicht so viel“, sagt Wachsmuth.

Der billigste Sitzplatz in der Arena kostet sechs Euro. Für vier Euro gibt es einen Shuttlebus nach Leipzig und zurück. Die Delitzscher tun ihr Bestes, in der ungewohnten Umgebung heimisch zu werden. In der Halbzeitpause tanzen Breakdancer um die Spieler. Der Hallensprecher kündigt aus Versehen einen Elfmeter an. „Wir müssen alle noch ein bisschen lernen“, sagt Wachsmuth.

Später gehen die Spieler an den Spielfeldrand und lassen sich von ihren Frauen und Freundinnen trösten. Trainer Uwe Jungandreas wird gefragt, ob seine Mannschaft denn schon angekommen sei in der Bundesliga. Nein, sagt der Mann, „so weit würde ich nicht gehen“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false