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Sport: Hertha BSC: Der Schrecken ist kein Gespenst mehr

Im großen Festzelt neben dem Olympiastadion ist die Stimmung so, wie sie zuletzt am vergangenen Wahlsonntag in Hamburg bei der SPD gewesen sein muss. Sieger feiern anders.

Im großen Festzelt neben dem Olympiastadion ist die Stimmung so, wie sie zuletzt am vergangenen Wahlsonntag in Hamburg bei der SPD gewesen sein muss. Sieger feiern anders. Ein überdimensionales Vereinsemblem, das an die eine Stoffwand projiziert wird, huscht hin und her, auf und ab. Diese gewollte Unruhe hat ungewollt Symbolcharakter. Bei Hertha BSC ist nichts mehr so, wie es war, und schon gar nicht, wie es sein soll. Als Gewinner des Ligacups im Sommer war eine um 30 Millionen Mark personell aufgerüstete Mannschaft als Favorit für das obere Ende der Tabelle in die Saison gegangen. Nach einem misslungenen Bundesligastart und einem grauenhaften Kick im Uefa-Cup gegen Westerlo hängt Hertha taumelnd in den Seilen. Und: Heilung ist nicht in Sicht.

Zum Thema Fotostrecke I: Hertha Backstage Fotostrecke II: Die Bilder der Saison 01/02 Bundesliga aktuell: Ergebnisse und Tabellen Bundesliga-Tippspiel: Das interaktive Fußball-Toto von meinberlin.de Die Zerfallserscheinungen auf dem Rasen haben ein Ausmaß angenommen, das niemand für möglich gehalten hat. Hertha verbreitet Schrecken, nur leider anders als gedacht. Westerlos Trainer Jan Ceulemans konstatierte am Dienstag: "Bei Hertha herrschte Panik." Eine vergleichsweise diplomatische Umschreibung dessen, was sich 90 Minuten auf dem Platz abspielte. "Von Minute zu Minute wuchs die Angst bei den Spielern", erzählte Herthas Trainer Jürgen Röber. Dabei erfüllte der biedere Gegner aus der belgischen Provinz alle Anforderungen eines dankbaren Aufbaugegners. Aber derzeit ist es egal, gegen wen Hertha spielt. "Es ist im Moment keiner da, der Ruhe ausstrahlt", sagt Röber. "Keiner kommt mit dieser Situation klar." Alle tappen im Dunkeln. Spieler, Trainer, Manager. "Es gibt in solchen Situationen keine Patentrezepte", sagt Manager Hoeneß.

Auf den Gewinn des Ligacups spricht man momentan beim Vorbereitungsmeister besser niemanden an. Immerhin: Im nächsten Jahr muss Hertha an diesem Wettbewerb wohl nicht teilnehmen. Das ist den jeweils ersten Sechs der Liga vorbehalten. "Wir sind auf uns allein gestellt. Das schweißt zusammen. Wir müssen da jetzt durch", sagt Röber, "wir müssen es erzwingen. Am besten alles ringsum ignorieren."

Nur lässt sich aber nicht ignorieren, dass Manager Hoeneß und Trainer Röber bei der Zusammenstellung des Personals einer taktischen Philosophie aufgesessen sind, die sie sich nicht leisten können. Angriff ist die beste Verteidigung, so hat Clausewitz das einmal formuliert. Ein Überangebot an offensiven Kräften schließt nicht die Reihen in der Verteidigung. Geschossene Tore entscheiden Spiele - verhinderte die Meisterschaft.

Warum kauft der Verein einen linken Mittelfeldspieler (Goor), wo doch ein rechter (Deisler rückte in die Zentrale) fehlt? Und warum liegen einige Spieler (Kiraly, Alves) weit über ihrem Wettkampfgewicht? In manch ungelenkem Erklärungsansatz behält nicht jeder den Durchblick. "Draufhauen hilft nichts", sagt Hoeneß. Das ist weder exklusiv noch hilft es. Gerichtet hat der Manager diesen Satz übrigens nicht an seine Spieler, sondern an die unzufriedenen Fans und Medien. Ursachen an dieser Situation sind nicht auf den Rängen zu finden. Fehler werden woanders gemacht.

Es spricht wenig dafür, dass die vertrackte Situation so schnell und geräuschlos verschwindet, wie sie über Hertha hereingebrochen ist. Schuld am desolaten Zustand ist nicht das Anspruchsdenken des Publikums, schuld ist auch nicht der kritische Ton in den Medien. Was etwa muss in den 15 Millionen Mark teuren Brasilianer Alves gefahren sein, dass er nicht mehr gewillt ist, den einen Fuß vor den anderen zu setzen? Dass Alves das Tor nicht trifft - kann mal passieren. Aber ihm ist vertraglich weder das Geldverdienen untersagt worden, noch der gepflegte Geradeauslauf. Alves ist nicht das Problem, aber auch kein Gewinn.

Der Verein vergrault nicht nur das Publikum, sondern auch das "zentrale Element" (Präsident Schiphorst) seiner Zukunft. Mit jedem weiteren Spiel dieser Marke - und hier ist ein Ende nicht absehbar - entfernt sich Sebastian Deisler. Dem jungen Spielgestalter mit Leidenschaft und Genius wird es derzeit alles andere als schwer gemacht, bei den um ihn schwer buhlenden Bayern zu unterschreiben. Da können sie ihm bei Hertha ein Jahresgehalt von sechs, acht oder zehn Millionen Mark in Aussicht stellen. Spaß am Sport findet anderswo statt.

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