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Gemeinsam nicht mehr einsam. Beim Wiedervereinigungsspiel Anfang 1990 lagen sich Hertha und Union in den Armen. Auch der heutige Union-Präsident Dirk Zingler war damals von der Atmosphäre im Olympiastadion begeistert.

© dpa

Hertha und Union: Wo die Liebe nicht mehr hinfällt

Hertha BSC und den 1. FC Union verband einst eine Zuneigung über die Mauer hinweg. Inzwischen sind sich beide Berliner Vereine egal geworden. Warum eigentlich?

Es gab mal eine Zeit, da ist auch Dirk Zingler gern ins Olympiastadion gegangen. Ist schon eine Weile her, aber der Präsident des 1. FC Union, der heute so großen Wert auf Abgrenzung seines Köpenicker Familienunternehmens zur Kommerz-Veranstaltung Hertha BSC legt, er war schwer begeistert. Zingler gehörte zu 51 270 Zuschauern, die symbolische fünf Mark Eintritt zahlten an jenem 27. Januar 1990, um vorwegzunehmen, was die Politik erst ein paar Monate später am 3. Oktober vollziehen sollte. Wer damals zugegen war beim Vereinigungsspiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union, der wird es nicht vergessen. Hertha gewann 2:1, aber es ging weniger um Fußball als mehr um das Bedürfnis nach Nähe. „Ich war zusammen mit meinen West-Verwandten da, alle aus dem Wedding“, sagt Zingler. „Es war ein großartiges Erlebnis!“

Diese Sichtweise war vor gut 22 Jahren allgemeines Gedankengut. Heute würde wohl kein Union-Fan mehr auf die Idee kommen, die von Werbe-Trailern und Pausenspielchen geprägte Atmosphäre im Olympiastadion als großartiges Erlebnis zu bezeichnen. Hertha BSC steht mit seiner bedingungslosen Öffnung zum Marketing für so ziemlich alles, wofür der auf traditionelle Werte erpichte Union-Fan nicht stehen will. Wenn sie denn den Weg aus Köpenick nach Westend antreten, dann nur, um drei Punkte mitzunehmen wie beim bislang letzten Derby im Februar 2011.

Einmal kamen sie auch, um Bambule zu machen. Als Hertha im Januar 2010 gegen den Abstieg aus der Bundesliga kämpfte, schaute ein 200 Leute starkes Kommando zum Spiel gegen den VfL Bochum vorbei, ganz spontan, weil Unions Spiel in Rostock gerade abgesagt worden war. Die rot-weißen Gäste warfen mit Bierbechern um sich und machten sich lautstark lustig über den sportlichen Existenzkampf des ungeliebten Nachbarn. Der sichtbar unangenehm berührte Union-Präsident Zingler nannte das Happening der eigenen Anhängerschaft „dämlich und peinlich“.

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Derartige Abneigung ist die große Ausnahme im Verhältnis zwischen den so ungleichen Klubs. Das heißt: Es gibt eigentlich gar kein Verhältnis. Hertha BSC und der 1. FC Union sind sich egal geworden. Im Olympiastadion brüllen sie statt „Eisern!“ nun „Scheiß!“-Union, an der Alten Försterei haben sie Frank Zanders Hymne umgedichtet in „Nur zur Hertha geh’n wir nicht“. Im Juli 2009 war Union gerade in die Zweite Liga aufgestiegen und empfing die damals noch erstklassige Konkurrenz aus dem Westen zur Einweihung des frisch renovierten Stadions. Das war auf dem Rasen ein harmlos-nettes Vergnügen und wurde doch von reichlich seltsamen Umständen begleitet. Der Höhepunkt war erreicht, als Unions Stadionsprecher seinen Fans empfahl, „die Herthaner zurück nach Charlottenburg zu schicken“, um danach richtig Party zu machen. Herthas Kapitän Arne Friedrich, sonst Meister der Kunst des beredten Nichtsagens, formulierte ungewohnt deutlich: „Das war respektlos.“

Früher waren sich die Fans näher als heute

In den Zeiten der Teilung waren sich die Fußballfans aus Ost und West näher als heute im vereinten Deutschland. Karsten Heine kann sich noch gut daran erinnern, wie es zu Vorwendezeiten an der Alten Försterei zuging, als sie auf den Traversen brüllten: „Hertha und Union – eine Nation“. Als noch Beton und Stacheldraht die Stadt teilen, waren Herthas Fans gern gesehene Gäste in der Wuhlheide. Es hatte etwas Subversives, mit einem Hertha-Aufnäher auf der Kutte zu Union zu gehen. „Natürlich war das verboten“, sagt Karsten Heine. „aber jeder hat die Sprechchöre gehört und die Aufnäher gesehen.“ Im Gegenzug reisten Union-Fans nach Plowdiw, Prag oder Budapest oder sonstwohin ins nichtkapitalistische Ausland, wo Hertha BSC gerade kickte.

Karsten Heine, geboren 1955, ist ein Berliner Fußball-Grenzgänger. Aufgewachsen in Köpenick und immer dort geblieben, er hat für Union gespielt und als Trainer gearbeitet. Kurz nach der Wende wechselte er zu Hertha, um dort die zweite Mannschaft zu trainieren. Diesen Job übt er nach zwischenzeitlichen Unterbrechungen noch heute aus. Warum die blau-weiß-rote Schicksalsgemeinschaft von damals nicht mehr existiert? „Ich kann das nicht verstehen“, sagt Karsten Heine. Und: „Vielleicht liegt es an einer neuen Fan-Generation, die die alten Zeiten nicht mehr erlebt hat.“

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Der Wandel kam schleichend. Beim Vereinigungsspiel im Olympiastadion hatten sich noch alle lieb, eine Woche später bei einem Turnier in der inzwischen abgerissenen Werner-Seelenbinder-Halle an der Landsberger Allee in Friedrichshain hielt sich Hertha als Gast im Osten immerhin noch vornehm zurück. Das Publikum feierte Unions Sieg im Finale über den in Ost und West verhassten BFC Dynamo. Doch schon zu Herthas Rückspiel beim 1. FC Union im August 1990 kamen nur noch 3800 Zuschauer in die Alte Försterei.

Mit reichlich Wohlwollen kann man es als ein letztes Zeichen von Solidarität mit dem 1. FC Union interpretieren, dass Hertha darauf verzichtete, nach der Wende auch nur einen einzigen Spieler des Union-Feindes BFC Dynamo unter Vertrag zu nehmen. In Wirklichkeit war es eher so, dass Herthas Management den Osten nicht ernst nahm, nicht seine Fußballspieler und auch nicht sein Potenzial an Zuschauern. An den Folgen dieser Überheblichkeit leidet der Verein bis heute. Was folgte, waren zwanzig Jahre, in denen Hertha und Union so viel Abstand trennte wie Charlottenburg und Köpenick auf dem Stadtplan. Hertha spielte zwischenzeitlich in der Champions League, an der Stamford Bridge gegen den FC Chelsea und im Camp Nou gegen den FC Barcelona. Union stürzte zeitweilig ab in die viertklassige Oberliga und zog über die Dörfer zu Punktspielen gegen den Torgelower SV Greif oder den MSV Neuruppin.

Zum Olympiastadion pflegten sie in Köpenick eine ergebnisorientierte Beziehung. Das begann am 1. August 2004, als im Regionalligaspiel gegen Herthas zweite Mannschaft Unions Martin Hauswald das erste Tor in der umgebauten WM-Arena erzielte. Und es endete noch lange nicht vor zwei Jahren mit Torsten Mattuschkas Freistoß zum 2:1 und dem Gewinn der inoffiziellen Stadtmeisterschaft, die am Montagabend an der Alten Försterei den ersten Teil ihrer Neuauflage erlebte. Fortsetzung folgt Mitte Februar, wieder im Olympiastadion.

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